"Virginia Woolf" in Krefeld: Unsere Katastrophen

Vier Schauspieler reichen, um aus Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ein Glanzstück zu machen: ein Blick in die Hölle am Krefelder Stadttheater.

<b>Krefeld. Ein böses Spiel, ein an Abgründen tanzendes, raffiniertes Quartett. Seelen bluten, Vernichtung ist angesagt. Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" von 1962 hat sich in einer Inszenierung von Bruno Klimek am Krefelder Stadttheater wieder einmal als ein großes Stück Welttheater bewiesen. Die riesig lange Couch auf der Bühne, das Schlachtfeld in diesem brutalen Geschlechterkampf, ist ganz nah an die Rampe gerückt. Nirgendwo überflüssiges Stückwerk (Bühne: Klimek). Wir da unten im Rang sind (fast) mit im Spiel.

Raffinierte Kniffe für den Kampf auf Leben und Tod

Die Katastrophennacht beginnt mit einem leichten Geplänkel. Martha (Ines Krug) und George (Sven Seeburg) kehren von einer Party zurück nach Hause, wo sie noch ein junges Paar erwarten. Ein Drink und noch viele mehr, und die Hüllen, die sie vor ihre seelischen Befindlichkeiten gespannt haben, fallen - wie so oft in dieser schon 20 Jahre dauernden, vom Alkohol gesättigten Zwangsgemeinschaft aus subtilen Lebenslügen, Abhängigkeiten und abgründigem Hass. Das bald eintrudelnde Paar, Nick mit seiner "Süßen" (Christopher Wintgens und Jennifer Anne Kornprobst), fällt diesem sich gnadenlos zerfleischenden Duo zum Opfer. Die beiden jungen Leute haben am Ende einen Blick durch jenes Raubtiergitter werfen können, von dem sie in der Zukunft sicherlich auch einmal umstellt sein werden. Mehr noch: Sie haben schon die Karten gezogen für ihre hoffnungslos verlorene Zukunft. Martha und Georg sind ein eingespieltes Team, das gefesselt ist in den raffiniertesten Kniffen, sich gegenseitig bis aufs Blut zu quälen und zu zerstören. Ein Leben lang und jeden Tag aufs neue. Sven Seeburg - dieser wunderbare Schauspieler kann jede Inszenierung tragen - spielt den George als bleichen, unterkühlten, intellektuell überlegenen Macho, der jederzeit die Kontrolle über diesen Abend und seine Kontrahenten zu halten versucht. Ein leises Wort zur Seite, eine karge Geste, und schon ist Martha auf der Palme. Esther Keil spielt sie als auffahrende Furie, die instinktiv weiß, wie sie George demütigen kann, und sie setzt ihre Stiche ohne Gnade.

Eine Inszenierung aus einem Guss und beispielgebend

Dann fällt auch Georges Maske, etwa in jener Szene, in der er stumm, in einer fast quälend langen, totenstillen Szene allein auf der Couch sitzt und ins Nichts starrt. Die Verzweiflung dröhnt. Eine Erlösung wird es nie geben. Nach einer Minute zuckt erstmals der Mittelfinger am Whiskeyglas.

Genau hier und an einigen anderen Stellen fällt das Stück ganz aus der realen Zeit und erhält eine fast utopische Zeichenhaftigkeit. Diese fressende Hoffnungslosigkeit blüht noch dem jüngeren Paar, dieser rundmundig schmollenden Naiven, der Jennifer Kornprobst schon einige Verletzungen abgewinnt, und Nick, den Christopher Wintgens als alerten Newcomer gibt, der aber der raffinierten Tücke der Gastgeber nie gewachsen ist. Er wird noch viel lernen müssen.

Eine Inszenierung aus einem Guss und beispielgebend dafür, dass nur vier Schauspieler genügen, Szenen aufzureißen, in denen sich eine Hölle spiegelt. Am Ende zerstört George noch die letzte, bis dahin nicht tangierte Übereinkunft mit seiner Martha. Er lässt den Sohn, diese sicher existentiell wichtige gemeinsame Lebenslüge beider, sterben. Und doch weiß jeder: Diese Hölle geht weiter - bis zum Tod. Das Publikum war restlos begeistert, der Beifall groß für Schauspieler und Regisseur.

2,5 Stunden, eine Pause, Aufführungen: 5., 11., 30. Oktober, Karten: 0 21 51/80 51 25.

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