Was Rang und Schmalz hat

Ausstellung: Im Bonner Haus der Geschichte wird derzeit das „Jahrhundert des Schlagers“ beleuchtet – ein sehenswertes Hörereignis.

Bonn. Jeder kennt einen Schlager, doch was ein Schlager ist, weiß kaum jemand. Der Komponist Ralph Benatzky versuchte sich einmal an einer Definition, die ironisch schließt mit "und tausend andere Imponderabilien, die sich nicht erklären lassen". Schlager ist das Leichte, das schwer zu machen ist. Und eine der meistgehassten Musikrichtungen, die zugleich viel über uns erzählt. Das zeigt jetzt die Ausstellung "Melodien für Millionen. Das Jahrhundert des Schlagers" im Haus der Geschichte in Bonn.

Der Schlager ist Massenunterhaltung. Deshalb muss er eingängig, deutschsprachig und tanzbar sein; vor allem aber braucht er Massenmedien wie Drehorgel, Orchestrion, Grammophon, Schellackplatte, die sich am Beginn der Ausstellung zu einem kleinen Technikpark formieren. Der Siegeszug des Schlagers beginnt aber erst mit der Erfindung des Radios. Zusammen mit dem Tonfilm entsteht hier die Plattform für eine massenhafte Verbreitung der Lieder eines Ralph Benatzky, Mischa Spoliansky oder Nico Dostal.

In ihrem etwas verwinkelten Aufbau folgt die Ausstellung der historischen Entwicklung des Schlagers von den 1920er Jahren bis heute. Mit 1500 Gegenständen ist sie üppig bestückt. Da der Schlager von der Personalisierung durch den Star lebt, wirkt der Parcours gelegentlich wie eine Krypta des Fan-Kitsches: Mit Reliquien wie dem Paillettenkleid einer Lilian Harvey, dem Motorroller der Froboess oder Guildo Horns blausamtigem "Nussecken"-Outfit. Das Kapitel über die Nazizeit zeigt, dass der Schlager als vermeintlich politikfreie Unterhaltung sich besonders zur Indoktrinierung eignete. Nach der Vertreibung jüdischer Musiker wie Friedrich Hollaender, der "Ausmerzung" von Swing- und Jazzelementen fungierte der Schlager als systemstabilisierende Unterhaltung, die via Volksempfänger und Film verbreitet wurde: Während in Stalingrad die Menschen starben, sang Zarah Leander 1942 "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen".

Auch in der DDR glaubte man fest an die Kontrolle des Unterhaltungsmarktes und wehrte sich gegen den "systemzersetzenden" Westschlager. Neben Amiga-Plattencovern und Nationalpreisen für Interpreten ist in Bonn auch ein Störsender zu besichtigen. Der Schauwert der Ausstellung ist hoch, vor allem aber ist sie ein Hörereignis. Etwa 800 Titel kann man an Boxen mit Touchscreens lauschen, und es ist alles dabei, was Rang und Schmalz hat. Vor allem aus der Hochzeit der Schlagerblüte - der 1970er Jahre -, die auf einer großen Zuschauertribüne ausgebreitet werden.

Im Zentrum steht Udo Jürgens legendärer gläserner Flügel; daneben Schaustücke aus der Zeit der Hitparade. Verblüffend, wie auch hier der Schlager zum Seismograph gesellschaftlicher Entwicklung wurde. Was früher Themen wie Fernweh, Heimat, Liebe waren, sind jetzt auch Fragen wie Umweltschutz (Alexandra: "Mein Freund der Baum") oder Frieden (Nicole: "Ein bisschen Frieden").

Die Ausstellung ist eine Entdeckungsreise in die Mentalitätsgeschichte unseres Landes, die zugleich Infos über Themen wie die Schlagerindustrie, den Kinderschlager oder die aktuelle Volksmusik bereithält. Und nicht zuletzt ist sie ein Erlebnisparcours, bei dem unsere kleine Kitschseele weiträumig Auslauf erhält.

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