Das Multitalent der 60er

Der Installationskünstler, Autor und Grafiker Ferdinand Kriwet bekommt in der Kunsthalle eine große Retrospektive.

Düsseldorf/ Dresden. Ferdinand Kriwet (68) ist ein Selfmademan, wie er nur nach dem Zweiten Weltkrieg möglich war. Der Sohn eines Würstchenbudenbesitzers („Kriwets Schnellimbiss“) aus Düsseldorf begann mit 15 Jahren das Buch „Rotor“ zu schreiben.

Ein Text voller Assoziationen aus seiner Kindheit, sein Leben in Düsseldorf, den Alltag nach dem Krieg. Ein Buch ohne Anfang und Ende, ohne Punkt und Komma. Vier Jahre später brachte er es bei DuMont heraus. Obwohl er wegen miserabler Schulnoten von einem Internat ins andere wechselte und schließlich ohne Abschluss die Schule verließ, gilt er heute als Pionier der Medienkunst.

Er war einer der ersten, der die Literatur aus ihrer ruhenden Lage im Buch befreite und seine „Sehtexte“ auf Wände, Teppiche und Schwimmkissen, Fahnen und Fassaden druckte. Seine Buttons, Rundscheiben, Neonschriften und Licht-Text-Säulen genießen heute Kultstatus.

Seine Fähigkeit bestand schon als Schüler darin, Kontakte zu pflegen und Chancen zu nutzen. Er sagt: „Ich war ein Nichts, ein Nobody, mich kannte kein Mensch. Aber ich lernte Leute kennen, die spürten, dass da nicht nur ein arroganter Schnösel ist.“

Über Jean Pierre Wilhelm, Galerist und Übersetzer, machte er im Schneeballsystem die Bekanntschaft mit Franz Mon, Max Bense, Helmut Heißenbüttel und Claus Bremer, mit der Literatur- und Musikszene in Köln, Frankfurt, Heidelberg und Darmstadt.

Mit 20 Jahren hatte er seine erste Uraufführung am damals berühmten Ulmer Theater, mit 21 seine erste Galerie-Ausstellung bei Niepel in Düsseldorf, mit 22 bereitete man ihm im Ulmer „Studio f“ eine Doppelschau mit keinem Geringeren als Man Ray.

Und führte zur Eröffnung der ersten Szene-Kneipe „Creamcheese“ in der Düsseldorfer Altstadt „Lokaltermin“ auf, einen Text für sechs Solisten, die weniger miteinander, als durcheinander sangen, sprachen, lachten und zischten.

Zwischen 1960 und 1974 war er gefeiertes Multimedia-Talent, Autor, Installations-Künstler, Grafiker und Bildgestalter. Seine Neonschriften, Wandbemalungen, Mixed-Media-Installationen und Leitsysteme eroberten den öffentlichen Raum.

Er realisierte Kunst-am-Bau-Projekte wie das Landeswappen im Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags oder eine Licht-Text-Säule für ein Essener Postamt. Egal was ihn inspirierte, es wurde ein Erfolg. Als 1969 die „Apollo 11“ in Houston abhob, saß er in einem New Yorker Hotelzimmer und nahm Bilder, Geräusche und Gespräche auf, um sie zu Medien-Collagen zu verarbeiten.

Doch dann wurde es ruhiger um ihn. Er hatte Düsseldorf längst verlassen, lebte als Schloss-Besitzer mit 34 Zimmern ohne Heizung in Dodenburg und stotterte die Raten ab. Er habe immer schon etwas größer gedacht, als es ökonomisch verantwortbar war, sagt er heute.

1978 gewann er noch einmal den Wettbewerb für die Gestaltung des Heinrich-Heine-U-Bahnhofs in Düsseldorf. Doch aus dem Entwurf einer ins Blech gestanzten Punktrasterschrift in 17.000 Lichtpunkten auf einer gefalteten Licht-Text-Decke wurde nichts. Dem Stadtrat waren die Kosten zu hoch.

Der Künstler geriet in Vergessenheit, machte freiwillig eine schöpferische Pause und hielt sich mit Immobilienverkäufen über Wasser. In den 90ern lebte er im ostfriesischen Dunum praktisch von der Hand in den Mund, ging mit dem Hund spazieren und las.

Heute ist er Hausbesitzer in Dresden und wird nun vom Düsseldorfer Kunsthallen-Chef Gregor Jansen wachgeküsst. Jansen sagt: „Der Mann ist aktueller, als er es wahrscheinlich je gedacht hat.“

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