Debatte um Sprache in Kinderbüchern: Der Vater und „Die kleine Hexe“

Die Debatte um das Wort „Neger“ hat Mekonnen Mesghena angestoßen. Nun erzählt er seine Geschichte.

Berlin. Mekonnen Mesghena (47) kann sich noch genau erinnern, wie er abends am Bett seiner sieben Jahre alten Tochter Timnit saß und ihr „Die kleine Hexe“ vorlas. Timnit liebte das Buch von Otfried Preußler. Plötzlich kam ihr Vater ins Stocken. Denn im Faschingskapitel stieß er auf das Wort „Negerlein“. An dieser Stelle sagte er zu seiner Tochter: „Hör mal, ich kann das Buch nicht mehr weiterlesen.“ Mesghena hat seit 20 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft — aber er stammt aus Eritrea in Ostafrika.

Timnit reagierte enttäuscht. Mesghena erklärte ihr, das hier sei so ähnlich wie damals, als ihre Freunde im Kindergarten von „Negerküssen“ gesprochen hätten. Hier stehe das „N-Wort“ nun wieder. „Sie hat es schließlich verstanden“, erzählt er. „Aber dann hat sie gesagt: Wenn das so ist, dann sag den Buchmachern, dass sie das ändern müssen.’

Mesghena, der in der Heinrich-Böll-Stiftung das Referat Migration & Diversity leitet, setzte sich noch am selben Abend hin und schrieb an den Thienemann-Verlag. „Ich habe keine politische Analyse gemacht, ich habe nur die Situation bei uns zu Hause beschrieben.“ Der Verlag antwortete schnell: Das Buch stamme von 1957 — und damals habe man das Wort „Neger“ eben noch ganz normal verwendet. Mesghena schrieb zurück, dass sich Kinder absolut nicht dafür interessierten, wann das Buch entstanden sei. Sie hätten ein Recht darauf, das Buch zu genießen — und niemand solle sich dabei ausgeschlossen fühlen.

Daraufhin nahm der Verlag Kontakt zu Preußler auf. Und siehe da: Am Ende beschloss der 89 Jahre alte Schriftsteller, dass das Wort gestrichen werden solle. Nun griffen Medien den Fall auf — und bald erhielt Mesghena heftige E-Mail-Anfeindungen und Drohanrufe.

Am vergangenen Sonntag trat der Literaturkritiker Denis Scheck in seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ mit schwarz angemaltem Gesicht auf und protestierte gegen „Tollheiten einer auf die Kunst übergriffigen politischen Korrektheit“. Empörte Reaktionen auf Twitter waren die Folge. Scheck hält dagegen, er wolle auf keinen Fall eine „Blackface“-Debatte anzetteln. Kinderbücher seien Literatur, und die dürfe man nicht umschreiben. Eltern könnten mit Kindern über problematische Begriffe sprechen.

Mesghena überzeugt das nicht. „Das möchte ich sehen, dass Eltern abends auf der Bettkante politische Diskussionen mit ihren Kindern führen“, sagt er. Deutsche verdrängten oft, dass auch ihr Land eine blutige Kolonialvergangenheit in Afrika habe. „Im Zusammenhang mit der Rassentheorie wurde das Wort Neger’ zur Markierung von Menschen benutzt, die nicht zur überlegenen’ Rasse gehören. Heute verwenden viele Menschen das Wort unreflektiert.“

Mittlerweile hat Mesghena auch positive Reaktionen erhalten. „Leute haben mir geschrieben, sie seien froh, dass sie ihren Kindern endlich ihr Lieblingsbuch vorlesen könnten.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Unwiderstehliche Grusel-Revue
Acht Schauspiel-Talente begeistern im Düsseldorfer Doppelstück „Das Sparschwein/Die Kontrakte des Kaufmanns“ Unwiderstehliche Grusel-Revue
Zum Thema
Aus dem Ressort