Der Film „3096 Tage“ zeigt den Fall Natascha Kampusch

Der Film „3096 Tage“ zeigt das jahrelange Martyrium der entführten Natascha Kampusch.

Eigentlich möchte man diesen Film gar nicht sehen. Weil man glaubt zu kennen, was einem gezeigt werden wird, und weil sich Unwohlsein breit macht vor den großen Kinobildern, in denen das Schreckliche Gestalt annimmt. Kaum ein privates Ereignis wurde medial derart ausgeschlachtet, wie die Entführung von Natascha Kampusch, die im niederösterreichischen Strasshof von dem Fernmeldetechniker Wolfgang Priklopil achteinhalb Jahre gefangen gehalten wurde.

Man sieht die Bilder vor sich: der weiße Kastenwagen, in den die Zehnjährige am 2. März 1998 gezerrt wurde, das fünf Quadratmeter große Verlies, in dem sie eingesperrt war, die schwere Betoneisentür, die sich hinter ihr schloss. All das ist bekannt aus Fernsehreportagen, Zeitungsartikeln und den Erzählungen von Natascha Kampusch. Dennoch sieht alles anders, unspektakulärer aus in dem Film „3096 Tage“, den Sherry Hormann („Wüstenblume“) nach dem Drehbuch von Ruth Thoma und dem 2011 verstorbenen Produzenten Bernd Eichinger gedreht hat.

Keine Sekunde dauert es, da ist das Mädchen im Lieferwagen verschwunden. In eine Decke gehüllt wird Natascha (Amelia Pidgeon/später Antonia Campbell-Hughes) auf den nackten Boden der Zelle gelegt. Langsam wickelt sich die Zehnjährige aus der Decke und blickt in den engen Raum, der die nächsten acht Jahre ihr Zuhause sein wird. Als sie die Unweigerlichkeit des Gefangenseins realisiert, ist das einer der schmerzhaftesten Momente des Films.

Die Handlungen des Entführers Priklopil (Thure Lindhardt) sind von einer kalten Systematik bestimmt. Er kappt die seelischen Verbindungen nach außen: „Ich bin deine Familie. Du gehörst jetzt mir, weil ich dich erschaffen habe.“ Jedes Aufbegehren ahndet er mit Nahrungsentzug — nur 38 Kilo wiegt die 18-Jährige, als sie am 23. August 2006 fliehen kann.

„3096 Tage“ erzählt den Fall Kampusch als Beziehungsgeschichte zwischen Täter und Opfer. Priklopil ist kein Monster, sondern ein Psychopath, der mit langfristigem Kalkül und körperlicher Gewalt den Willen seines Opfers zu brechen versucht und dem Mädchen dennoch punktuell mit einer Art Zuneigung begegnet. Hormann und ihre Drehbuchautorin Ruth Thoma haben sich dazu entschieden, auch den sexuellen Missbrauch zu zeigen, den Natascha Kampusch in Interviews und in ihrem Buch gezielt ausgeklammert hat — überflüssiger Voyeurismus.

Dem gegenüber stehen die Qualitäten des Filmes, der gerade durch seinen nüchternen Blick tief berührt. Zugleich zollt er der Haltung Kampuschs, die sich der Stigmatisierung als Opfer stets entschieden verweigerte, tiefen Respekt, indem er die Lebenskräfte und das Selbstbewusstsein zeigt, die in dem Mädchen trotz Repression langsam heranwachsen. Der Film hört dort auf, wo die öffentliche Wahrnehmung Natascha Kampuschs beginnt.

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