Ein Popstar namens Helmut Schmidt

Sammlung kleiner Geschichten über den großen Alt-Kanzler.

Hamburg. Kurz vor Weihnachten 1981 reist Bundeskanzler Helmut Schmidt in London an. In den Abbey Road Studios, wo schon die Beatles Platten aufnahmen, setzt er sich ans Klavier und spielt mit Christoph Eschenbach und Justus Frantz Mozarts F-Dur-Konzert für drei Klaviere und Orchester (KV 242) ein.

„Die Entourage ist der eines Popstars angemessen: Schmidt reist im Luftwaffen-Learjet an und kommt mit 15 Begleitern und Leibwächtern“, schreibt Jost Kaiser über den Altkanzler, der am Sonntag 94 Jahre alt wird. „Schmidt spielt samt 60-köpfigem Orchester das Werk innerhalb von sechs Stunden ein — und braucht damit auch nicht länger als ein Profi.“

Es ist eine von 55 Anekdoten, die der Journalist Kaiser für sein Buch zusammengetragen hat. Der Autor will Schmidt neu würdigen: „Nicht groß. Sondern im Kleinen. Denn ein Riese ist er ja schon selbst.

Dicke Bücher mit den großen Lebenslinien gibt’s genug.“ Seine Geschichten sollen an das erinnern, was Schmidt „getrieben hat, wenn er nicht gerade mit dem Besiegen der RAF, dem Krisenmanagement der Weltwirtschaft und dem Abwehren des gröbsten Unsinns seiner Partei beschäftigt war: viel. Sehr viel. Denn Schmidt ist immer im Dienst.“

Nicht nur während seiner Kanzlerschaft (1974 — 1982) galt das für den SPD-Mann. So erinnert Kaiser an 1985, als Schmidt seine Heimatstadt Hamburg „wenigstens tageweise zur heimlichen Hauptstadt“ machte.

Drei Tage wohnte der frühere US-Präsident Gerald Ford bei den Schmidts. „Eine Art Superstaatsmann-WG auf Zeit. Betreutes Wohnen: Allein 18 Secret-Service-Männer sind dabei“, schreibt Kaiser.

„Abends wird bei Schmidts die Weltlage besprochen. Es gibt Blankeneser Rauchsalat (frisch geräucherter Aal, Lachs, Makrele, Steinbeißer), klare Rinderkraftbrühe mit Hackklößchen, Roastbeef warm und zum Nachtisch Rote Grütze.“

Kaiser hat auch Geschichtchen aus Schmidts Zeit als Hamburger Innensenator parat, der „bei der Lufthansa etwas mitgehen ließ“: Deren Serviettenklammern mit der Aufschrift „Senator“ trug er als Krawattenhalter. 1978 machte Schmidt, der noch immer in Hamburg-Langenhorn wohnt und nach dem Tod seiner Frau Loki mit Ruth Loah eine neue Gefährtin an seiner Seite hat, mit der Idee von einem fernsehfreien Tag pro Woche Furore.

Jost Kaiser: „Gerade in den kleinen Begebenheiten am Rande, in den bislang unerzählten Ausbrüchen aus dem offiziellen Schmidt-Sein, zeigt sich Helmut Schmidt auf sehr persönliche Weise.“

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