„Atmen“: Beklemmendes Jugenddrama

Berlin (dpa) - Der Tod ist ein Tabuthema, mit dem sich viele Menschen in den westlichen Gesellschaften nicht gerne auseinandersetzen. Vor allem der physische Umgang mit den gerade Verstorbenen ist für die Hinterbliebenen schlicht undenkbar.

Die meisten Trauernden verdrängen daher die Vorstellung, was mit dem Leichnam passiert, wenn dieser vom Bestattungsunternehmen abgeholt wird. Genau dafür interessiert sich jedoch der österreichische Autor, Regisseur und Schauspieler Karl Markovics („Die Fälscher“), der sein Regiedebüt „Atmen“ im Bestattungsmilieu angesiedelt hat.

In seinem beklemmenden Jugenddrama soll ein verschlossener junger Mann (Thomas Schubert) vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Doch der unzugängliche Einzelgänger scheint unfähig für eine Sozialisierung zu sein. Er pflegt keinen Kontakt zu seinen Mitmenschen, verhält sich abweisend gegenüber seinem Bewährungshelfer und besitzt auch keinen familiären Anschluss. Ausgerechnet über seinen Job in einem Bestattungsunternehmen findet er wieder ins Leben zurück.

„Ich hole ihn filmisch genau in dem Moment ab, wo die Dinge ins Laufen kommen, die er selbst gar nicht bewusst auslöst“, erklärt Markovics im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Durch die Begegnung mit einer Toten, die denselben Nachnamen besitzt wie er selbst, wird das Heimkind an seine Mutter erinnert, die er niemals kennengelernt hat. Emotional aufgewühlt begibt er sich auf die Suche nach seiner leiblichen Mutter (Karin Lischka).

Um die perfekte Besetzung für die männliche Hauptrolle zu finden, lud der Regisseur rund 200 junge Männer im Alter zwischen 17 und 19 Jahren zum Casting ein. „Es war mir klar, dass dieser Film mit dem Hauptdarsteller steht und fällt“, sagt Markovics. „Ich wusste auch, dass ich keinen ausgebildeten Schauspieler dafür finden werde, da junge Menschen in der Regel erst im Alter von 18 Jahren eine Schauspielschule besuchen. Daher haben wir uns für ein offenes Casting entschieden.“ Unter den zahlreichen Anwärtern auf diese Rolle sei Schubert von Anfang an herausgestoßen. „Wir haben uns gefragt, wie viel von seiner Natürlichkeit bleibt, wenn er vor der Kamera und dem versammelten Team arbeiten muss“, ergänzt der Regisseur. „Doch er blieb bei Dreh genauso natürlich wie beim Casting.“

In „Atmen“ setzt der Regisseur, der für sein Regiedebüt mit internationalen Auszeichnungen überhäuft wurde, auf ein visuell sehr minimalistisches Konzept, um die innere Befindlichkeit seines Protagonisten zu vermitteln. Die Kamera ruht statisch auf ihm, wenn er sich auf den Boden des Schwimmbeckens sinken lässt und förmlich aufhört zu atmen. Durch die vordergründige Kühle in der Jugendstrafanstalt und die metallischen Särge im Bestattungsinstitut wird die gefühlte Kälte optisch noch verstärkt. Erst bei den Ausflügen des junges Mannes in die normalen Lebenswelt kommt Farbe und damit auch Wärme ins Bild. „Am Schluss verlassen wir ihn als jemanden“, resümiert Markovics, „der das Leben bewusst wahrnimmt.“

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