Bewegende Doku über Jonathan Akpoborie: „Das Schiff des Torjägers“

Warum die Fußball-Karriere von Jonathan Akpoborie wegen Kinderhandels endete.

Düsseldorf. Jonathan Akpoborie steht im Strafraum des alten Wolfsburger Stadions und erinnert sich genau an eine Szene aus seinem früheren Fußballer-Leben. Er stellt sie nach, zeigt, wo er selbst und sein Gegenspieler vom MSV Duisburg standen. Wie er sich bei einem Eckball um ihn herumschlich und mit dem Kopf ein Tor erzielte. „Ich war so glücklich“, sagt er. Dazu muss man wissen: Akpoborie ist nur 1,70 Meter groß.

Auch Adakou Kpoda, eine junge Frau aus Togo in Westafrika, erinnert sich. Sie sitzt in dem Dokumentarfilm „Das Schiff des Torjägers“ vor einer Hütte in ihrem offenbar nicht sehr reichen Dorf und sagt ernst: „Ich wollte nie von meiner Familie weg.“

Im April 2001 sollte sie gemeinsam mit anderen Kindern per Schiff von Benin nach Gabun gebracht werden. Alles Kinder, die von irgendeinem Onkel oder Schwager an andere Familien vermittelt wurden, damit sie vielleicht irgendwann mit Taschen voller Geld nach Hause zurückkehren. Oder wenigstens ein besseres Leben haben.

Unicef und Terre des Hommes schlugen Alarm, in den Medien war von einem „Sklavenschiff“ die Rede, Zeitungen titelten: „207 Kinder ins Meer geworfen?“ Kamerateams erwarteten das Schiff, das tatsächlich 43 Kinder an Bord hatte, im Hafen von Cotonou in Benin zurück. Es hieß „Etireno“, benannt nach der Mutter von Jonathan Akpoborie und von seinen Brüdern.

Denn ihnen gehörte die Fähre, die der Fußballprofi von seinem in Europa verdienten Geld für die Familie daheim gekauft hatte. Und dessen Karriere war nun nach 144 Bundesligaspielen und 61 Toren für Hansa Rostock, den VfB Stuttgart und den VfL Wolfsburg im April 2001 abrupt zu Ende. VW, der Konzern hinter dem niedersächsischen Klub, ließ Akpoborie angesichts der üblen Schlagzeilen suspendieren.

Eine beklemmende Geschichte also, in der die Sache mit der Wahrheit komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint. Die Schweizer Grimme-Preisträgerin Heidi Specogna hat jahrelang recherchiert und erzählt in ihrem bedächtigen und vielschichtigen Dokumentarfilm vom Handel mit Menschen, von afrikanischen Traditionen und westlichen Werten, vom Überlebenskampf und vom Fußballgeschäft.

Sie verzichtet auf einen eigenen Kommentar und auf eindeutige Schuldzuweisungen, montiert stattdessen aussagekräftige Interviews mit ausdrucksstarken Bildern. Etwa vom Eisenmarkt in Cotonou, wo Kinder unter einem Meer von Wellblechdächern aus Draht Bügel formen oder auf alten Autofelgen herumklopfen. Das Leiden der Kinder wird jedoch zurückhaltend ins Bild gesetzt, am bewegendsten noch, als die Autorin die junge Frau Adakou zu einer Art Ferndialog mit Nouman, einem Jungen aus Benin, der ebenfalls auf der „Etireno“ war, wieder zusammen- bringt.

Auch die Eltern kommen zu Wort. Zum Beispiel Noumans Vater, ein armer Fischer, der sich heute für sein damaliges Handeln schämt. „Ich vertraue ihm nicht mehr“, sagt Nouman.

Specogna spürt den heutigen Ausmaßen des Kinderhandels nach und hat sogar das Wrack der „Etireno“ ausfindig gemacht.

Außerdem den originellen Papa Dora, der als „Strandwächter“ von den Überbleibseln des Schiffes lebt. Irgendwann malt dieser afrikanische Strand-Philosoph mit seinen Fingern lachend das französische Wort „vérité“ — Wahrheit — in den Sand. Und Akpoborie? „Ich hatte keine Ahnung von den Kindern auf dem Schiff“, sagt er. Und man möchte ihm glauben. Akpoborie fühlt sich durch eine „Lüge“ um seine Karriere gebracht.

Danach sei es schwer gewesen, „ihn in der Bundesliga zu verkaufen“, bedauert Peter Pander, der Wolfsburger Ex-Manager, was in diesem Film besonders seltsam klingt.

Heute arbeitet Akpoborie selbst als Spielervermittler. Im Trainingszentrum von Grasshoppers Zürich trifft er sich mit Chef-Trainer Murat Yakin. Sie sprechen über mögliche Transfers von Nachwuchsfußballern.

„Das Schiff des Torjägers“, Mittwoch, 23 Uhr, arte

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