Karl Markovics mag es morbide

Berlin (dpa) - In seinem Regiedebüt „Atmen“ setzt sich der österreichische Autor, Regisseur und Schauspieler Karl Markovics mit einem verschlossenen Einzelgänger in einer Jugendstrafanstalt auseinander, der ausgerechnet durch seine Tätigkeit bei einem Bestattungsunternehmen ins Leben zurückfindet.

„Es ist nicht möglich, zu atmen, ohne zu leben. Hier haben wir es mit einem Menschen zu tun, der atmet, aber nicht lebt“, sagte Markovics in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. „In dieser Geschichte geht es darum, wie lange ein Mensch sich in eine solche Isolation begeben und in diesem Niemandsland zwischen Leben und Tod verharren kann.“

Was hat Sie daran gereizt, einen Film über das triste Leben eines Jugendlichen zu drehen, der zwischen Gefängnis und seiner Beschäftigung bei einem Bestattungsunternehmen hin- und herpendelt?

Markovics: „Da ich aus einer Arbeiterfamilie komme, sind mir Menschen sehr vertraut, die sich nicht mit den tieferen Geheimnissen der Existenz beschäftigen, sondern einfach ihr Leben bestreiten müssen. Ich wollte eine Geschichte im Bestattungsmilieu erzählen, die mit dem handgreiflichen Tod zu tun hat. Dieses Thema hatte ich in Form einer persönlichen Begegnung noch nicht einmal am Rande gestreift. Ich hatte das Glück, dass ich in der Zentrale der Bestattung in Wien einen Termin bekam, mit der Frühschicht mitzufahren. Um sechs Uhr morgens fuhren wir mit einem großen Leichenwagen ins Spital und haben in der Pathologie zwei Tote abgeholt. Mir war wichtig, den ganzen Ablauf kennenzulernen. Ich wollte wissen, wie die Bestatter miteinander sprechen, wie das Gefüge der Kollegen untereinander ist und wie es auf jemanden wirkt, der von außen zum ersten Mal dazu kommt.“

Ihr Film hat nicht nur zahlreiche internationale Preise gewonnen, sondern ist auch in Österreich ein Kassenerfolg. Was fasziniert das Publikum an diesem düsteren Sujet?

Markovics: „Trotz der Schwere dieses Themas entlässt mein Film das Publikum mit einer positiven Perspektive, auch wenn diese nicht sehr konkret ist. Der Schluss ist ein offenes Ende, doch die Zuschauer nehmen aus diesem Film mit, dass das Leben trotz großer Schwierigkeiten positiv sein kann. Das Leben ist für mich ein Wert an sich, auch wenn es schwierig oder kompliziert ist. Es gibt viele Zuschauer, die sich den Film zweimal anschauen, weil sie das Gefühl haben, dass er eine Dichte besitzt, die sich beim einmaligen Sehen nicht erfassen lässt. Mein Film bildet nicht nur die vorderste Schicht ab, sondern enthält mehrere Ebenen. Da er eine komplexe Welt darstellt, wird er als wahrhaftig wahrgenommen.“

Warum beschäftigen sich insbesondere österreichische Filmemacher wie Michael Haneke, Markus Schleinzer oder Sie gerne mit morbiden Themen?

Markovics: „Das hängt mit der selektiven Wahrnehmung zusammen, denn auf internationalen Festivals erhalten vor allem österreichische Filme Aufmerksamkeit, die sich mit speziellen Extremsituationen oder Randthemen beschäftigen. Kein anderer bückt sich so tief herunter oder wühlt so tief existenziell im Dreck. Wir drehen Filme, die andere nicht machen möchten.“

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