„Midnight in Paris“: Absacker mit Hemingway

Woody Allen lässt seinen Helden in „Midnight in Paris“ ins pulsierende Paris der 1920er Jahre eintauchen.

Mit der Liebeserklärung an Paris lässt Woody Allen nicht lange auf sich warten. Direkt zu Beginn zeigt er all die Orte, die die französische Hauptstadt ausmachen: Montmartre und Sacre Coeur, der Place de la Concorde und der Arc de Triomphe, die Ile de la Cité mit der Kathedrale Notre Dame und natürlich der Eiffelturm werden, unterlegt von Akkordeonklängen, hintereinandergeschnitten wie eine Dia-Show.

Bei der dreiminütigen Ouvertüre hört man Allen fast aufatmen, dass er sich doch noch mal aus seinem Schutzraum New York herausgetraut hat — eine Sequenz, die problemlos vom Pariser Fremdenverkehrsamt als Werbevideo übernommen werden könnte.

Auch Allens Protagonist Gil Pender hat Angst, sein Leben zu verpassen. Als Drehbuchautor für Hollywood-Massenware ist er finanziell erfolgreich, aber künstlerisch ausgetrocknet. Der Roman, den er seit Jahren schreiben will, setzt als unvollendetes Manuskript Staub an. Selbstzweifel, begleitet von koketter Larmoyanz, halten den Enddreißiger vom Schreiben ab.

Owen Wilson verkörpert diesen verhinderten Künstler, dessen Frau Inez (Rachel McAdams) ihn scheinbar ermutigt, sich endlich zu verwirklichen, tatsächlich aber nicht an seine intellektuellen und freigeistigen Fähigkeiten glaubt. Als Amerikanerin aus gutem Hause legt sie Wert auf bildungsbeflissene Konversation, offenbart dabei aber nur ihr eklatantes Halbwissen. Kein Wunder, dass sie sich so gut mit Paul (Michael Sheen) versteht, ihrem ehemaligen Studienkollegen, dem Gil und Inez zufällig in Paris begegnen. Mit pseudointellektueller Grandezza und haltlosen Erklärungen zerrt er die beiden durch die historischen Stätten der Stadt.

Auf der Flucht vor so viel vorgetäuschter Belesenheit setzt Gil sich nach einem Barbesuch ab und verläuft sich in den pittoresken Gassen der Stadt. Während er leise verzweifelt, hält neben ihm ein Oldtimer — darin Menschen wie aus einer anderen Welt. Die Frauen tragen kurze Röcke mit Jugendstilmustern, die Männer Smokings und zu schmalen Linien gestutzte Oberlippenbärtchen. Sie animieren Gil einzusteigen und entführen ihn ins Paris der 1920er Jahre, jene Ära, in der Hemingway, Fitzgerald, Dalí und Picasso ihre kreativsten Schaffensphasen hatten.

Wie schon im Film „Purple Rose of Cairo“(1985), wo Allen eine Filmfigur von der Leinwand hinab in die Realität steigen ließ, erklärt der Altmeister seine kleine Fantasterei nicht weiter. Dass Gil nun jede Nacht zur Geisterstunde in die Vergangenheit eintaucht und mit seinen literarischen Vorbildern nach Inspiration sucht, erzählt Allen so selbstverständlich wie einen Parkspaziergang.

Durch seine nächtlichen Streifzüge lebt Gil auf. Tagsüber arbeitet er an seinem Buch, abends gibt er es Gertrude Stein (Kathy Bates) zum Korrekturlesen. In ihrem Atelier lernt er auch Adriana (Marion Cotillard) kennen, die Picasso als Muse dient. Gil verliebt sich, seine gute Laune lässt Inez aufhorchen.

Woody Allen ist mit „Midnight in Paris“ ein federleicht erzähltes Märchen mit augenzwinkernder intellektueller Unterfütterung und galligem Humor gelungen. Staunend lässt er den wunderbaren Wilson durch die Bohème der Roaring Twenties stolpern und dabei das Leben schätzen lernen.

So kompakt und unwiderstehlich amüsant hat Allen schon lange keinen Film mehr gemacht. Kein Wunder, dass er in seiner Heimat USA mit bislang mehr als 55 Millionen Dollar Umsatz der erfolgreichste seiner langen Karriere wurde.

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