Spieglein, Spieglein: Kein Apfel für Schneewittchen

Julia Roberts versucht sich in „Spieglein, Spieglein“ als böse Königin.

„Das ist meine Geschichte, nicht ihre!“ stellt die böse Königin gleich zu Beginn aus dem Off fest, und eigentlich war dieser Perspektivwechsel schon lange überfällig. Nun gut, Schneewittchen hatte immer die bessere Haut (weiß wie Schnee), das schönere Haar (schwarz wie Ebenholz) und die volleren Lippen (rot wie Blut), war aber im Grimm’schen Märchenkontext auch eine echte Langweilerin. Mehr der Opfertyp mit Putzfimmel und Prinzenrettungsgarantie.

Da ist die eifersüchtige und hintertriebene Stiefmutter schon ein ganz anderes Kaliber. Erst recht, wenn sie, wie in Tarsem Singhs Schneewittchen-Remix „Spieglein, Spieglein“, von Julia Roberts gespielt wird — als echte Diva mit enormen Gewändern, einer rasiermesserscharfen Zunge und einem bösartigen Verstand. So schön kann Gemeinsein sein, auch wenn Julia Roberts ihre strahlende Nettigkeit nicht ganz verbergen kann. Die Story ist in groben Zügen seit zwei Jahrhunderten allgemein bekannt, erfährt hier aber im Detail einige Abweichungen.

Die Zwerge etwa sind keine harmlosen Bergarbeiter (und auch keine Männerselbsterfahrungsgruppe), sondern ein erfahrenes Waldräuberkollektiv, das sich mit Hydraulikstelzen in Riesen verwandelt und mit modernen Kampfkunsttechniken die Forstwege unsicher macht. Schneewittchen (Lily Collins, die Tochter von Popstar Phil Collins, macht ihre Sache ordentlich) weihen sie in die Grundzüge der Selbstverteidigung ein.

Auf den vergifteten Apfel, den gläsernen Sarg und die Wiederbelebung durch den Prinzen wurde verzichtet zugunsten einer jungen Heldin, die lernt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen

Die Anpassung Schneewittchens ans Lara-Croft-Zeitalter gelingt dem Film überraschend entspannt, genauso wie der fantasievolle, aber unaufdringliche Einsatz digitaler Effekte bei der Erschaffung der Märchenwelten. Regisseur Tarsem Singh („Krieg der Götter“) bringt ein elegant durchgestyltes Märchen auf die Leinwand, echte Hingucker sind die sorgsame Ausstattung und die opulenten Kostüme. Ein gelungenes, familienfreundliches Update zum Grimm-Jahr und nicht das letzte seiner Art.

Ende Mai „folgt das martialische Fantasy-Spektakel „Schneewittchen und der Jäger“, in dem Kristen Stewart die Königstochter spielt, Chris Hemsworth vom Jäger zum Beschützer mutiert und gegen Charlize Theron als böse Herrscherin ins Feld zieht — Waidmannsheil! Wertung: n n n n n

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