Steven Spielbergs „Lincoln“: Politischer Husarenritt

Mit zwölf Nominierungen ist Steven Spielbergs „Lincoln“ bei den Oscars großer Favorit.

Düsseldorf. Geschichte, im Kino — na, danke. Allein der Titel: „Lincoln“. Das klingt nach drei Stunden gepflegter Langeweile, die Biografie eines großen Mannes, zerlegt in ihre vielen schicksalhaften Einzelteile, um an seinem Denkmal noch etwas mehr zu meißeln. Wie gesagt: Es klingt so. Aber das muss noch lange nicht heißen, dass es auch so ist. Steven Spielberg erspart uns das chronologische Herunterbeten von Kindheitstraumata, beruflichen Rückschlägen oder familiären Dramen. Denn der Fokus soll nie abgelenkt werden von dem, was er eigentlich erzählen will: die Geschichte eines politischen Husarenritts.

Januar 1865: Das Ende des Bürgerkriegs ist greifbar, aber noch nicht besiegelt. Dennoch merkt Lincoln, wie ihm die Zeit davonrennt. Natürlich will er, dass das Schlachten ein Ende hat. Aber sein politisches Vermächtnis steht auf dem Spiel. Durch einen Zusatz zur Verfassung will der 16. US-Präsident die Sklaverei abschaffen. Dazu benötigt er eine Mehrheit im Kongress. Ein Waffenstillstand und die damit verbundene Erleichterung über den Frieden nach vier Jahren verlustreicher Kämpfe könnte von der Notwendigkeit der Reform ablenken — und sie auf die lange Bank schieben, so Lincolns Befürchtung.

In erster Linie erzählt „Lincoln“ von Zermürbungstaktik, Winkelzügen und Kuhhandel, also genau den Dingen, die das politische Geschäft bis heute prägen. Um Kongressmitglieder, auch aus dem gegnerischen demokratischen Lager, ins Boot zu bekommen sind sich die Mittelsmänner von Lincoln zu nichts zu schade. Sie laden zum Essen ein oder zur Jagd, stellen Vergünstigungen in Aussicht und setzen unter Druck.

Währenddessen werden im Parlament Debatten um der Debatten Willen gehalten. Spielberg erzählt das als launige Posse, gekrönt vom unvergleichlichen Tommy Lee Jones, der mit dem Abgeordneten Thaddeus Stevens den schärfsten Gegner der Sklaverei innerhalb der Republikaner spielt. Dass er geschichtlich gesehen für die richtige Sache gekämpft hat, ändert nichts daran, dass er zu seiner Zeit als verschrobener Fanatiker galt. Selbst von Mary Lincoln muss er sich öffentlich demütigen lassen, als sie einen Empfang nutzt, um ihm sein mangelndes Vertrauen in ihren Mann vorzuwerfen. Mit Jones und Sally Field treffen in dieser Szene die beiden Stützen des Films aufeinander. Er gibt mit Hingabe den grantelnden Bürgerrechtler, sie die aufopferungsvolle Politikergattin, die hinter verschlossener Tür an Depressionen leidet. Beides Galavorstellungen und jeweils zu Recht für den Nebenrollen-Oscar nominiert.

Natürlich auch im Rennen: Daniel Day-Lewis, dessen Lincoln allerdings etwas zu sehr wie sein politisches Vermächtnis über den Dingen zu schweben scheint. Selbst wenn er seine schwermütige Frau zurechtweisen muss, wirkt es wie notwendige Staatsräson. Das ist beeindruckend, weil es bis ins Detail dem Bild entspricht, das die Geschichtsbücher von Lincoln in unseren Köpfen verankert haben. Aber auch etwas eintönig, weil Spielberg so gut wie keine Zwischentöne zulässt, die den Charakter menschlicher erscheinen ließen.

Letztlich spielt es aber keine Rolle. „Lincoln“ ist kein Biopic, sondern kluges Politkino mit Fingerzeig in die Gegenwart. Botschaft: Geschichte wiederholt sich.

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