Nachfahren führender Nazis im ARD-Film - Die Kinder der Massenmörder

In dem ARD-Film „Meine Familie, die Nazis und ich“ sprechen fünf Menschen über ihre Nazi-Vorfahren.

Düsseldorf. „Dieses verfluchte Tor“, sagt Rainer Höß. Er war nie dort, aber er hat die Bilder im Kopf, Schwarz-Weiß-Bilder von einer Familienidylle. Lachende Kinder im Garten, fröhliche Gesichter von Erwachsenen. Ein unscheinbares Gittertor trennte diese unschuldig wirkende Szenerie von der Welt draußen. Die Bilder könnten überall aufgenommen worden sein. Aber hier ist nicht überall, hier ist Auschwitz.

Direkt neben dem Stammlager Auschwitz I hatte Kommandant Rudolf Höß sein Privatdomizil. Und eines der lachenden Kinder ist Rainer Höß’ Vater, der „genauso großkotzig war wie mein Großvater“. Nie habe sein Vater über die NS-Zeit gesprochen, erinnert sich Rainer Höß. Gemeinsam mit dem israelischen Journalisten Chanoch Ze’evi reist der Enkel des Kommandanten zum ersten Mal zur Gedenkstätte Auschwitz.

Was bedeutet es, von Massenmördern abzustammen? Fünf Nachfahren von NS-Größen stehen im Mittelpunkt des Dokumentarfilms „Meine Familie, die Nazis und ich“. Die Reise von Höß, die in einer Begegnung mit Jugendlichen und Holocaust-Überlebenden aus Israel gipfelt, bildet die dramaturgische Klammer in dieser deutsch-israelischen Koproduktion.

Dazwischen schildern auch Katrin Himmler, Bettina Göring, Niklas Frank und Monika Göth, wie sie sich mit dem Familienerbe auseinandersetzen. In kurzen Steckbriefen werden die Karrieren der Täter geschildert, ansonsten kommt der Film ohne Kommentar und die einschlägigen Archiv-Bilder aus der Nazizeit aus — ein souveräner Umgang mit dem Thema.

Die meisten Kinder der Nazi-Täter, sagt Katrin Himmler, hätten entweder mit ihren Eltern gebrochen oder sich für Loyalität unter Ausblendung alles Negativen entschieden. „Das Dazwischen ist wahnsinnig schwer.“ Die Großnichte des SS-Führers hat sich mit der Geschichte ihrer Familie beschäftigt und das Buch „Die Brüder Himmler“ veröffentlicht.

Bettina, die Großnichte des Luftwaffenchefs Hermann Göring, lebt seit langem in den USA. Deutschland und die Last ihres Familiennamens scheinen weit weg. Aber dann sagt sie, sie und ihr Bruder hätten sich „mehr oder weniger bewusst“ sterilisieren lassen, „um keine weiteren Görings mehr zu produzieren“.

Katrin Himmler hält die Vorstellung, sie könnte „böse Gene“ geerbt haben, für abwegig. Dann würde sie ja die Nazis bestätigen „mit ihrer schwachsinnigen Überzeugung, dass alles nur vom Blut abhängt“.

Noch eine Generation näher an der NS-Zeit sind Niklas Frank, der 1939 geborene Sohn von Hans Frank, und Monika Göth, die 1945 geborene Tochter von Amon Göth.

Ihre Mutter habe sie „wie eine Wahnsinnige“ geschlagen, wenn sie genauer wissen wollte, wie viele Juden ihr Vater denn getötet habe, sagt Monika Göth. Die Wahrheit über dessen Mordlust erfuhr sie angeblich erst im Kino, als sie „Schindlers Liste“ sah. Die radikalste Abkehr von seinem Täter-Vater hat Niklas Frank mit seinen Büchern „Der Vater — Eine Abrechnung“ und „Meine deutsche Mutter“ hinter sich. Im Film ist er meistens bei Lesungen in Schulen zu sehen. Es koste ihn zwar Überwindung, „Abend für Abend meine Eltern vor jungen Leuten hinzurichten, aber sie haben es verdient“, sagt er.

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