Regisseur Ken Loach: „Whisky stehlen ist keine Lösung“

Der britische Regisseur Ken Loach über Glück und die hässlichen Umstände, die es verhindern.

London. Der Regisseur Ken Loach ist Spezialist für tragikomische Sozialdramen, so auch in seinem jüngsten Film „The Angel’s Share“ über vier arbeitslose Jugendliche in Schottland.

Herr Loach, manche sagen, Glück sei eine Einstellungssache. Trifft das Ihrer Meinung nach zu?

Ken Loach: Nein. Es gibt sicher Momente, in denen man Glück hat, aber die Umstände, in denen man lebt, sind doch immer mächtiger als das Glück oder der Zufall.

Im Mittelpunkt Ihres neuen Films „The Angel’s Share“ steht eine Gruppe arbeits- und perspektivloser Jugendlicher in Schottland. Damit sind Sie ganz nah an der aktuellen Situation in Europa.

Loach: Auf dieses Thema komme ich in meinen Filmen auf unterschiedliche Weise immer wieder zurück, weil es so tiefgreifend und umfassend ist. Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das den meisten Menschen kein anständiges Leben zusichern kann. Kinder haben so viele Talente, wenn sie auf die Welt kommen, aber das ökonomische System zwingt sie in solche aussichtslosen Situationen hinein.

Die Jugendlichen im Film stehlen extrem teuren Whisky, kommen zu Geld und einer sogar zu einer Festanstellung. Aber Whisky stehlen kann nicht die Lösung sein.

Loach: Sicher nicht. Jugendliche müssen den Anspruch auf ein angemessenes Leben, der früher mal galt, wieder einfordern. Auf ein Zuhause, auf eine sichere Arbeit, darauf, seine Familie ernähren zu können. Außerdem kehren drei von vier Jugendlichen in ihr altes Leben zurück, und irgendwann ist das Geld dann ausgegeben.

„The Angel’s Share“ ist ein Mix aus Komödie und Sozialdrama. Wie finden Sie die richtige Balance?

Loach: Man darf nicht nach dem Gag suchen, er muss sich ergeben. Man muss die Geschichte über die Figuren erzählen, denn das Leben ist doch teils komisch, teils ernst. Das kennt doch jeder: Mitten in einem todernsten Moment passiert plötzlich etwas, das einen innerlich grinsen lässt. Man muss also einfach seine Geschichte erzählen, und nicht vorher festlegen: Das ist lustig, das ist ernst.

Gibt es für Ihre realitätsnahe und politische Art, Filme zu drehen, einen Regienachwuchs in England, der mit der gleichen Wut im Bauch ans Werk geht wie Sie?

Loach: Es gibt sehr viele junge Regisseure, die mehr an realitätsbezogenen Geschichten als an reiner Unterhaltung interessiert sind. Aber die haben es sehr schwer, ihre Filme finanziert zu bekommen. Das liegt aber nicht an ihnen, sondern an der Filmindustrie.

Die Bösewichte, die für die Situation der Jugendlichen verantwortlich sind, zeigt der Film nicht. Sind Sie etwa milde geworden?

Loach: Man findet nicht immer den Dreh, um auch die Bösen zu zeigen. Wen soll ich zeigen? Die Banker? Die Großunternehmer? Die muss der Zuschauer mitdenken. Die meisten von ihnen sind ja schon von der Queen geadelt worden. So lange diese Leute das System manipulieren, werden wir Jugendliche haben wie Robbie. Ein Fünftel der Jugendlichen in Europa ist arbeitslos, dazu kommt die Umweltzerstörung, die Rohstoffknappheit durch immer mehr Konsum — der absolute Wahnsinn.

Das klingt aussichtslos. Kann Politik da noch etwas zum Guten wenden? Wo sehen Sie einen Ausweg?

Loach: Für einen wirklichen Wechsel brauchen wir eine Bewegung, die ihn formuliert. Es gibt bisher nur Straßenbewegungen wie Occupy, aber keine politischen Bewegungen, die solche Forderungen durchsetzen könnten. Vielleicht kommt das noch. Man merkt, dass die Leute die Notwendigkeit dazu erkennen. Mal sehen, was in Griechenland demnächst passiert.

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