Triumph für Hanekes „Liebe“ beim Europäischen Filmpreis

Valletta (dpa) - Der Unterschied hätte größer kaum sein können: Moderatorin Anke Engelke tobte gewohnt quirlig über die Festbühne und zeigte sich zunächst in einer Ritterrüstung und später gar gänzlich hüllenlos.

Der große Sieger des Abends dagegen, der österreichische Regisseur Michael Haneke, hätte allen Grund zum Jubeln gehabt: Sein Drama „Liebe“ um Alter und Tod wurde mit vier Preisen ausgezeichnet, darunter auch für den Besten Film und die Beste Regie. Doch Haneke nahm die Trophäen gewohnt wortkarg entgegen, dankte knapp seinem Team - und verschwand von der Bühne. „Es ist angenehm und hilft bei der nächsten Produktion“, war alles, was er sich später zu seinem Triumph entlocken ließ.

Dabei schaffte der in München geborene Haneke etwas sehr Seltenes - er gewann mit seinem zweiten Film in Folge den begehrten Hauptpreis. Vor drei Jahren hatte er mit dem Antikriegsdrama „Das Weiße Band“ gesiegt. Und schon 2005 gewann er mit „Caché“ den Hauptpreis und die Beste Regie. Nun also gleich vier Preise: zwei für Haneke selbst und zwei für seine beiden Hauptdarsteller. Die beiden Franzosen Emmanuelle Riva (85) und Jean-Louis Trintignant (81) wurden als Beste Schauspieler geehrt, konnten ihre Preise aber nicht persönlich entgegennehmen.

So übernahmen die Ehrenpreisträger die Aufgabe, bei der Gala in Valetta auf Malta den Film-Enthusiasten großes Kino zu bieten. Neben Regisseur Bernardo Bertolucci kam Schauspielerin Helen Mirren („The Queen“), die für ihren Beitrag zum Weltkino gewürdigt wurde, sichtlich bewegt auf die Bühne. „Das ist so wunderbar und kam so völlig unerwartet“, bekannte sie und erzählte dem Publikum von ihren Anfängen. Als 16-Jährige war sie im englischen Brighton an regnerischen Nachmittagen in ein Programmkino geflüchtet und hatte von den großen Stars geträumt. „Es ist unglaublich nun auf einer Stufe mit ihnen zu stehen, wie etwa Hanna Schygulla!“, rief sie.

Moderatorin Anke Engelke mischte das Programm mächtig auf, versuchte sich mit Schauspieler Mads Mikkelsen in Dänisch und sprang von einer Ritterrüstung, in der sie die Show passend zur umgebenden Festungsarchitektur eröffnete, in Windeseile in ein festliches Abendkleid. Highlights waren 90-sekündige Einspieler, in denen Engelke jeden der sechs für den Hauptpreis nominierten Filme alleine darstellte - und parodierte. Zum britischen Film „Shame“ über einen sexsüchtigen New Yorker Geschäftsmann etwa ließ sie sämtliche Hüllen fallen, wenn auch die entscheidenden Partien hinter dicken schwarzen Balken verdeckt blieben.

Das deutsche DDR-Drama „Barbara“ blieb ohne Auszeichnung, doch Regisseur Christian Petzold nahm's gelassen. „Wahrscheinlich hätte man mit solch einem Stoff in den USA eher Chancen als in Europa“, hatte er schon vor der Gala angemerkt. Möglicherweise bietet sich ihm diese weitere Möglichkeit: Denn Deutschland hat „Barbara“ ins Rennen um den Oscar für den Besten fremdsprachigen Film geschickt.

Dass auch die französische Erfolgskomödie „Ziemlich beste Freunde“ („Intouchables“) um einen Rollstuhlfahrer und seinen Pfleger ohne jede Auszeichnung blieb, enttäuschte so manche. Eine mögliche Erklärung hatte der dänische Regisseur Thomas Vinterberg, der für das Drama „Die Jagd“ zusammen mit seinem Mitstreiter Tobias Lindholm für das Beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. „Im europäischen Kino lieben wir Verlierer, auch ich mag Verlierer. Aber wenn wir mehr Publikum in unsere Filme locken wollen, sollten wir vielleicht mehr Geschichten über Gewinner machen“, sagte er.

Ein großer Gewinner des Abends war jedenfalls Regie-Altmeister Bernardo Bertolucci („Der letzte Tango in Paris“). Der 82-jährige Italiener kam im Rollstuhl auf die Bühne und nahm die Europa-Statue für sein Lebenswerk mit einem stillen Lächeln entgegen. Und hatte auch noch einen hintersinnigen Trost für die enttäuschten Fans der französischen Erfolgskomödie parat. „Vielleicht ist dies der Anfang von "Intouchables II"“, rief er lachend, als er wieder von der Bühne gerollt wurde.

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