Heine-Preis: Zwei geistige Anker Europas

Jürgen Habermas erhält Freitag den Heine-Preis der Stadt Düsseldorf.

Düsseldorf. Eigentlich wollte Jürgen Habermas, der Freitag mit dem Heine-Preis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet wird, gar nichts sagen: „Ich spreche doch am Freitag.“ Und überhaupt: „Zu Pressekonferenzen muss man mich tragen.“ Aber falls jemand eine Frage habe. . . Nun, natürlich gibt es etwas zu fragen, wenn man einen der „weltweit bedeutendsten Denker der Gegenwart“ (aus der Begründung der Heine-Preis-Jury) vor sich hat.

Zum Warmwerden eignet sich da prima Düsseldorf, die Geburtsstadt von Heine und Habermas, auch wenn der Philosoph der „Frankfurter Schule“ in Gummersbach aufwuchs: „Ich erinnere mich, wie ich als Junge am Gallberg gespielt habe, als ich bei den Großeltern in Gerresheim wohnte oder wie ich später vom Schwanenspiegel zum Schauspielhaus gelaufen bin.“

Der weltweit geachtete Philosoph und Soziologe, dessen Werke in 30 Sprachen übersetzt werden, ist der erste Düsseldorfer unter den Heine-Preisträgern (siehe Kasten). Wahrhaftig gab es kaum eine naheliegendere Wahl, denn wenn jemand unübersehbar in der geistigen Tradition der freiheitlichen Ideen Heines steht, dann Jürgen Habermas.

Der 83-Jährige, schlank, groß, spricht immer noch druckreif, auch lange, verschachtelte Sätze führt er stets erfolgreich und klar ins Ziel. Dabei wirkt er uneitel, fast nie belehrend.

Verve und Leidenschaft freilich hat er nicht verloren. Als er über Heinrich Heine spricht, wird deutlich, dass ihm, dem so oft Ausgezeichneten, diese Ehrung wirklich etwas bedeutet. Die demokratische Staatsform sei in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg „normativ verankert“ gewesen, weil sie Erbe der Aufklärung gewesen sei. Habermas: „Außer Lessing oder Kant hat niemand so sehr diesem Selbstverständnis und dieser politischen Mentalität in Deutschland Vorschub geleistet wie Heine.“ Und man traue seinen Augen nicht, wie viel europäisches Bewusstsein sich zeige, wenn man Heines Werke der 1830er-Jahre lese, staunt der intellektuelle Vorkämpfer der Gegenwart für ein einiges Europa.

Während sich sein Lehrer Theodor Adorno noch despektierlich über den populären Heine der „Loreley“ äußerte, sagt Habermas, wie wichtig etwa das frühe „Buch der Lieder“ für deutsche Emigranten in Amerika als Band zur Heimat war. Und dann dankt er sehr herzlich einer Dame, die berichtet, wie sie sich für den Erhalt des ersten, um 1900 errichteten Heine-Denkmals in der New Yorker Bronx engagiert.

Als er gefragt wird, welche Zeit in seinem Leben die bewegendste, aufregendste gewesen sei, da zögert Habermas. Er möchte noch nicht öffentlich auf sein Dasein zurückblicken, auch wenn er dann die Frankfurter Zeit von 1956 bis 71 nennt („intellektuell enorm beschleunigte Jahre“). Die individuelle Lebensgeschichte bestehe aus Abschnitten des geistigen Ein- und des Ausatmens — „und die 60er-Jahre waren eine Zeit der Aufnahme“. Vor allem jedoch habe er damals das Talent entwickelt, sich über politische Dinge so richtig aufzuregen: „Und dazu hatte ich auch später noch Gelegenheiten genug.“

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