Interview: „Romantik ist nichts für mich“

Kerstin Gier ist mit drei Romanen unter den ersten Zehn der Bestseller-Liste: Was hat sie sich nur dabei gedacht?

Frau Gier, Sie kommen aus dem Bergischen und haben einige Zeit in Köln studiert. Warum spielt Ihre Geschichte von den beiden zeitreisenden Teenagern Gwendolyn und Gideon in London und nicht in einer deutschen Stadt?

Gier: Ich hätte auch eine deutsche Stadt genommen. Köln hätte sich angeboten, einerseits weil die Stadt sehr geschichtsträchtig ist, andererseits weil es mir einige Recherchearbeit erspart hätte (lacht). Aber meine Lektorin meinte, es müsste eine Großstadt im Ausland sein, damit man den Stoff auch international verkaufen kann.

Diese Rechnung ist aufgegangen. Die Trilogie „Rubinrot“, „Saphirblau“ und „Smargadgrün“ wurde in 19 Sprachen übersetzt. Selbst in den USA und Großbritannien werden die Bücher veröffentlicht, was bei einem deutschen Autor eher selten ist. Aber die Namen mussten geändert werden.

Gier: Ja, Gwendolyn heißt in der englischen Fassung Gwyneth, aus Leslie wurde Lesley.

Wieso? Die Figuren haben doch schon in der Originalfassung englische Namen.

Gier: Der Verlag hielt Gwendolyn für hoffnungslos veraltet. Sie meinten, das wäre so, als hätte ich das Mädchen im Deutschen Hildegard genannt. Ein klassischer Recherchefehler. Hätte ich mich erkundigt, welche Namen bei britischen Eltern momentan beliebt sind, hätte ich gewusst, dass Gwendolyn nicht mehrheitsfähig ist. Die Details in der Vergangenheit stimmen alle, aber in der Gegenwart habe ich etwas daneben gelegen.

Sie schreiben eine Liebesgeschichte, noch dazu eine, die die Zeit überdauert, behaupten aber, Sie könnten nicht romantisch sein. Wie funktioniert das?

Gier: Ich glaube auch nicht, dass die ersten beiden Bände im engen Sinne romantisch sind. Erst bei „Smaragdgrün“ kam ich in die Bredouille, weil die Liebesgeschichte ja zu einem Ende kommen musste, was gemeinhin Romantik beinhaltet. Das hat mir fast das Genick gebrochen.

Wie erklären Sie sich, dass Jugendbücher immer öfter zum Bestseller werden und auch von Erwachsenen in Scharen gelesen werden?

Gier: Das hat meines Erachtens relativ einfache Gründe. Seit dem großen Erfolg von Harry Potter bieten die Buchläden Jugend- und Fantasyromane ganz anders an. Man muss nicht mehr in die entsprechende Ecke gehen und suchen, sondern wird direkt im Eingangsbereich mit ganzen Stapeln konfrontiert. Außerdem glaube ich, dass die Hemmschwelle vieler Erwachsener gesunken ist, sich auch mal ein Jugendbuch zu kaufen. Diese Entwicklung wurde sicher auch durch die Anonymität des Internets begünstigt.

Inhaltliche Gründe hat dieses Phänomen nicht?

Gier: Doch, sicher! In romantischen Fantasybüchern geht es um heile Welten und viel Gefühl. Da ist ganz offensichtlich ein breites Bedürfnis vorhanden.

Ihr Verlag wirbt damit, dass der unerbittliche ARD-Literaturkritiker Denis Scheck bei seiner regelmäßigen Inspektion der Bestsellerliste sehr schonend mit Ihnen umging. Der berüchtigte Wurf in die Mülltonne blieb Ihnen erspart.

Gier: Naja, schonend. Er hat schon deutlich gesagt, was ihn stört. Von klischeehafter Rollenverteilung hat er gesprochen, meine Hauptfigur nannte er tumb. Mit dem Vorwurf der Rollenverteilung hat er sogar ein bisschen recht, die Charakterisierung von Gwendolyn fand ich aber verfehlt. Man muss immer bedenken: Ich habe die Bücher hauptsächlich für Mädchen geschrieben. Sich in eine 16-Jährige zu versetzen, fällt Herrn Scheck vielleicht doch eher schwer (lacht).

Sie schreiben mit hoher Schlagzahl.

Gier: Sollte man denken, stimmt aber nicht. Früher war das sicher mal so, da ging es in erster Linie darum, Geld zu verdienen. Da habe ich auch unter dem ein oder anderen Pseudonym geschrieben.

War die Zeit als Auftragsschreiberin sehr anstrengend?

Gier: Ja, aber ich bin froh, dass ich das gemacht habe. Ich habe gelernt, auf einen Abgabetermin hin zu schreiben und ein Manuskript auch mal loszulassen, selbst wenn ich nicht damit zufrieden bin. Irgendwann leistet man sich keine Eitelkeiten mehr.

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