Alice im Wunderland der Kunst

Liverpool (dpa) - Eines Tages fällt die kleine Alice in ein Loch. Eigentlich war sie nur einem sprechenden Kaninchen hinterher gejagt. Plötzlich aber ist sie in einem Land voller Farben, seltsamer Wesen, alles ist verdreht und irgendwie surreal, unheimlich und fantastisch gleichzeitig.

Selbst wer Lewis Carrolls Geschichte von „Alice im Wunderland“ nie gelesen hat, der hat doch Bilder dazu im Kopf. Und genau diese Bildgewalt der Geschichte ist es, die seit mehr als 150 Jahren Künstler aller Disziplinen inspiriert - ob Malerei, Skulptur, Theater, Film, Video oder Musik. Eine nach Angaben der Macher in ihrer Art bisher einzigartige Schau in der Tate Liverpool gibt bis zum 29. Januar einen Einblick, wie Alice im Land der Kunst landete und was sie dort über die Jahre so alles anstellte. Vom 20. Juni an kommt die Ausstellung auch in die Kunsthalle Hamburg.

„Alice hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt“, sagt Kurator Christoph Schulz. Ein Grund dafür dürften wohl auch die Bilder von ihr sein. Denn die Darstellungen von Alice und ihren seltsamen Freunden entwickelten schon früh ein Eigenleben.

Los ging es schon mit Carroll selber. Eigentlich hieß er Charles Dogdson und war Mathematik-Dozent und Diakon in Oxford. 1862 war er auf einer Bootstour mit den drei Schwestern Liddell unterwegs, als die Kinder ihn um eine Geschichte baten. Als sie erzählt war, bettelte die kleine Alice, er solle sie doch aufschreiben. Sie wurde selber zur Hauptfigur der bis heute weltberühmten Erzählung. 1865 erschien die erste gedruckte Auflage.

Das Buch über die Abenteuer von Alice, die im Wunderland das sprechende Kaninchen wiederfindet, einen verrückten Hutmacher kennenlernt und jede Menge Abenteuer erlebt, war bereits im viktorianischen England ein Riesenerfolg. Es beeinflusste Illustratoren, Theatermacher und sogar die damalige Werbeindustrie, die mit Alice-Motiven geschmückte Teedosen herausbrachte.

Deutsch ist eine der ersten Sprachen, in die der Bestseller übersetzt wurde. Die Ausstellung zeigt unter anderem die ungeheure Vielfalt an Buchillustrationen, die Alice über die Jahrzehnte bis heute bekommen hat.

Ab etwa 1930 entstand eine Bewegung, die wie geschaffen für Alice war. „Die ersten Künstler, die von dem Buch wieder fasziniert waren, waren die Surrealisten“, sagt Gavin Delahunty, Ausstellungschef der Tate Liverpool - eine Zweigstelle der renommierten Museumsgruppe, zu der auch die Tate und die Tate Modern in London gehören. Auch Salvador Dalí ließ sich davon inspirieren. Zu sehen sind auch Werke von Max Ernst und René Magritte.

In den sechziger Jahren dann hegten psychedelisch beeinflusste Künstler die Ansicht, Carroll habe ein so fantastisches Werk nur unter Drogen erdenken können. Obwohl das nicht bewiesen wurde, griffen sie Alice gerne auf und versetzen sie in psychedelische Zustände, Adrian Piper etwa. Auch Erwachsenwerden gehört zu den Motiven des Buches, die sich in der Kunst wiederfinden.

Jahrhunderte übergreifend wird das Thema Zeit aufgegriffen - denn während Alice im Wunderland das Gefühl hat, sie wäre Ewigkeiten dort, ist nur kurze Zeit vergangen, als sie wieder in der realen Welt landet. Das Thema der vom Menschen gemachten Zeit drückt in der Ausstellung eine Projektion von Torsten Lauschmann aus dem Jahr 2010 aus: Eine digitale Uhr, die tatsächlich die wahre Zeit angibt, deren Stunden-, Minuten- und Sekundenziffern aber von aus dem Leeren kommenden Händen gesetzt werden.

Neben Original-Exponaten aus der Entstehungszeit, historischen Fotos, Gemälden, Installationen, Skulpturen und Videos zeigt die Ausstellung auch einen Teil der Filme, die Alice angeregt hat. Der erste stammt bereits aus dem Jahr 1902. 1923 wagte sich auch Walt Disney an das Material und stellte Carroll das Zeugnis aus: „Es gibt nicht viele Exemplare von logischem Unsinn auf der Welt, und kein einziges, das auch nur annäherungsweise Lewis Carrolls Klassiker gleichkommen würde.“

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