Dinge jenseits der Normalität

Tony Cragg hat Eduardo Chillida stets bewundert, aber nie kennengelernt. Jetzt zeigt er im Park Waldfrieden eine Blütenlese.

Wuppertal. Vor zwei Jahre spazierte der Bildhauer Tony Cragg mit seinem spanischen Freund Vicente Todoli, dem Chef der Tate Modern, durch seinen im Bau befindlichen Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal und meinte plötzlich, wie gern er im Pavillon eine Chillida-Ausstellung machen würde. Aus der fixen Idee ist jetzt Wirklichkeit geworden. Todoli besorgte ihm die Adresse der Familie Chillida in Hernani bei San Sebastian.

Dort empfing man den Unbekannten wie einen Freund und ließ ihn Arbeiten im Park selbst aussuchen. Gestern kamen zwölf Familienmitglieder Chillida angereist, um mit Cragg im Pavillon, im Garten und in der Villa zu feiern, wo die Kunst des Spaniers steht oder in einer erlesenen Schau von Papierarbeiten in der Villa Waldfrieden hängt.

Chillida (1924-2002) gehört zu den bedeutendsten Bildhauern des 20.Jahrhunderts, seine Skulpturen sind Höhepunkte der Kunst. Gleich im Hallen-Eingang begrüßt eine Arbeit aus weißem Alabaster, diesem lebendigen, lichtdurchlässigen Stein, dessen Schichten sich noch zu bewegen scheinen. Chillida schnitt das Material zu einer Burg und widmete es seiner Ehefrau Pilar Belzunce ("Pili", 2000), die ihm acht Kinder geboren hat. Unweit davon entfernt steht das "Monument für die Toleranz" (1985), tonnenschwer und geschmeidig zugleich wie die Apsis einer Kirche gerundet und in einer großen Geste der Umarmung endend.

Cragg schwärmt über die Kunst des Kollegen: "Wie er den Stahl, das härteste Material, im glühenden Zustand mit Hunderten von Tonnen Druck gebogen hat! Die Skulptur erhält dadurch diese eigene Dynamik und macht den kinetischen Prozess sichtbar. Ich habe mich verliebt in diese Arbeit. Da ist nichts Hohles. Das ist ein radikales, fundamentales, dunkles Werk. Wir Menschen bestehen auch nicht nur aus der Außenhaut."

Chillida wird in Wuppertal als ein "humaner Künstler" präsentiert. Cragg bezeichnet ihn so. Einladend wie eine Bank steht die Stahlarbeit vor der Tür, "Hommage a Luca Pili" von 1986. Sie wurde wie eine Riesenzunge im heißen Zustand ausgewalzt, die Gewalt der Bearbeitung lässt sich noch spüren. Schaut man in die freigelassene Öffnung hinein, sieht man ein Kreuz, das den Innenraum zusammenhält. Das Kreuz, ein Zeichen des Todes, ein Merkmal des Menschen.

Vor dem Pavillon ist "Elegie auf die Architektur" (1996) aufgebaut, ein Gebilde wie ein Kopf, und zugleich ein ABC der Architektur, die Chillida studiert hat, bevor er Bildhauer wurde. Mentale Räume entstehen dank konzentrierter Eingriffe. Vielleicht die schönste Arbeit ruht im Freien, "Peine del Viento" (Kamm im Wind, 1999). Wie aus einem Felsen an der Brandung schieben sich tentakel-artige Arme heraus, greifen ineinander und erzeugen einen Hohlraum, den sie zugleich beschützen.

Bildhauerei, wie Tony Cragg sie versteht, ist "keine Fummelei", sondern eine "menschliche Aktivität voller Dynamik. Sie zeigt wahnsinnige Dinge jenseits der Normalität."

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