Doppeltes Jubiläum: Der ewig Suchende Heinrich Vogeler

Worpswede (dpa) - Heinrich Vogeler umgab sich gern mit schönen Dingen. Er lebte in einem prachtvollen Anwesen, steckte seine Frau in selbst entworfene Kleider und gestaltete reich verzierte Möbel. Künstler wie Paula Modersohn-Becker und der Dichter Rainer Maria Rilke scharten sich um ihn.

Doch dann der Bruch: Der Künstler kehrt dem Bürgertum den Rücken zu, gründet erst eine Kommune und wandert später in die Sowjetunion aus. Dort stirbt er völlig verarmt.

Im Juni jährt sich sein Todestag zum 70. Mal, sein Geburtstag im Dezember zum 140. Mal. Das doppelte Jubiläum begehen mehrere Museen in Worpswede und Bremen in diesem Sommer mit Ausstellungen zu seinem bewegten Leben. Maler, Grafiker, Architekt, Autor und politischer Aktivist - kaum ein Künstler des 20. Jahrhunderts war wohl so vielschichtig wie Vogeler. Ein Leben lang war er auf der Suche, getrieben von Zweifeln und dem Glauben an eine bessere Welt.

Im Künstlerdorf Worpswede, nordöstlich von Bremen gelegen, schien er sie gefunden zu haben. Wer Vogeler verstehen will, sollte seinen Barkenhoff besuchen. Das stattliche Ensemble steht für seine künstlerische Glanzzeit, aber auch für politische Neuorientierung. Malerisch schmiegt es sich an den Weyerberg, umgeben von hohen Bäumen und einem weitläufigen Garten. Die weiße Jugendstil-Fassade leuchtet in der Maisonne. Es riecht nach Farbe. Der Aufbau der Ausstellung ist im vollen Gange.

Wenn man das Gelände betritt, meint man in eine Märchenwelt einzutauchen. Eine „Insel der Schönheit“ hatte Vogeler für sich und seine Muse Martha schaffen wollen. Doch die Idylle bestand nur an der Oberfläche. „Vogeler hat eigentlich schon früh Krisen gehabt - auch mit seiner Frau“, sagt die Leiterin des Vogeler-Museums im Barkenhoff, Beate Arnold.

Davon erzählt das Gemälde „Sommerabend“, das Vogeler 1905 vollendete. Es zeigt seine Familie und Gäste auf der Terrasse, wie erstarrt und voneinander abgewandt. „Es ist total tot“, meint Arnold. Die Spannungen sind zum Greifen nah. Das Bild nimmt eine zentrale Stellung in der Worpsweder Schau zu Vogelers Lebensweg ein. Rund 300 Exponate werden in vier Museen zu sehen sein, darunter Gemälde, Möbel, Besteck, Briefe - und immer wieder Martha, als Dornröschen und ätherische Schönheit.

„Er hat versucht, sie zu formen. Doch davon emanzipiert sie sich später“, erläutert Arnold. Wie Rilke flieht Martha aus der engen Barkenhoff-Welt. Zu dem Zeitpunkt steckt Vogeler schon mitten in einer existenziellen Krise. Von 1904 bis 1905 gestaltete er die Güldenkammer im Bremer Rathaus neu. „Danach ringt er sehr stark mit seiner Ausdrucksform“, erläutert Vogelers Urenkelin Daniela Platz.

Bewundernd streicht sie über die feinen Ornamente an der Wand. Normalerweise lädt der Bürgermeister nur hohe Würdenträger in das Empfangszimmer, doch für die Urenkelinnen von Vogeler macht der Senat eine Ausnahme. Gemeinsam mit ihrer Cousine Berit Müller wird Platz im Sommer eine begrenzte Zahl von Besuchern durch das Kleinod führen.

„Es ist das Luxuriöseste, was er je gemacht hat“, sagt Müller. Vergoldete Ledertapeten, geschwungene Türgriffe, glänzendes Holz, Rosen und Paradiesvögel. Es war der Höhepunkt des Jugendstils, danach kam Vogeler aus der Mode. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet sich der Künstler freiwillig. „Es war eine Art Flucht“, meint Arnold. Doch was er an der Front erlebt, erschüttert sein Weltbild.

Von nun an setzt sich Vogeler für eine neue Gesellschaftsordnung ein, am Ende von der Sowjetunion aus. Frieden findet er auch dort nicht. Er malt Komplexbilder, zerschneidet sie wieder, verfasst politische Schriften. Unermüdlich sucht er nach einem neuen Stil - und nach einer besseren Welt. Gefunden hat er sie jedoch nicht.

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