Exotisches im Skulpturenpark

Tony Cragg holt die Holzfiguren seiner einstigen Kollegin Luise Kimme nach Waldfrieden.

Exotisches im Skulpturenpark
Foto: Andreas Fischer

Luise Kimme (1939-2013) war ein unkonventionelles Energiepaket. 1976 schneite sie als Professorin in die Düsseldorfer Kunstakademie und trieb den Studenten bis zur Pensionierung 2002 die Klischees des Bildungsbürgertums aus. Ihr eigenes Werk jedoch entstand auf Tobago in der Karibik, wo sie seit 1979 ein Studio und seit 1997 ihr eigenes Museum besaß.

Auf dieser Insel begeisterte sie sich für gertenschlanken Tänzer und Geisteraustreiber, für Eidechsenpaare und tropische Gewächse. Die 1,52 Meter große Frau begann, ihre Vorbilder aus Eichen- und Zedernholz zu schnitzen. Der Student Tony Cragg, ihr späterer Kollege, war begeistert. Jetzt holt er ihre Kunst eineinhalb Jahre nach ihrem Tod in den Skulpturenpark Waldfrieden.

Obwohl sie kaum die Stromlinienformen ihrer Freunde besaß, wirbelte sie in Tobago im Boogie-Rhythmus in einer Sonntagsschule inmitten der Einheimischen durch die Räume und lernte hautnah die Bewegungen kennen. Tony Cragg lobt: „Sie hatte eine große Liebe zu den Menschen. Ihre Skulpturen sind voller Dynamik in den Körperdrehungen, im tänzerischen Gang, in der Theatralik. Lange vor der Fitnesswelle begeisterte sie sich für Aerobic. Sie schuf ganz verrückte Figuren und spirituell animistische Arbeiten.“

Einheimische zeigten ihr, wie man von Alligatoren nicht gefressen wird. Im Tagebuch hielt „Luise“, wie man sie nannte, all ihre Begegnungen in der Karibik fest. Sie ging mit der Machete und in Gummistiefeln auf Pirsch, briet gekochte Brotfrucht und ließ sich von den Einheimischen beibringen, die man Alligatoren begegnet, ohne aufgefressen zu werden.

Lange, bevor der Kulturmix gängig wurde, probte ihn die Bildhauerin. Sie konnte einen schwarzen Tänzer mit dem russischen Vaslav Nijinsky kombinieren, dessen Choreographie die Einheimischen für sie nach Fotos nachstellen mussten. Dann griff sie zum Beitel und bemalte anschließend die Hölzer wie Kostüme des Bühnenbildners Léon Bakst. Schokoladenbraune Tänzer schlüpften in die berühmte Rolle von „L’après midi d’un faune“ (1912), im Schuppengewand oder im Rosenkostüm, als kehre die Musik von Debussy in ihre Körper.

Während des Semesters aber trieb sie die Anfänger in die „Bildungsstätte Kronenburg“. Dort mussten sie fern vom Kunstbetrieb ihren Weg finden. Kimme motivierte Hundertschaften zum eigenen Tun. Praktisch war sie es, die den Ruhm Düsseldorfs als Zentrum der Bildhauerkunst mit Namen wie Schütte oder Cragg begründete.

In der kleineren Glashalle leben 35 ihrer merkwürdigen Gestalten mit den bunten Kleidern, dem Kopfputz, den Häuptern mit Turban, den sprießenden Daphne-Kronen auf. Die Kavaliere tragen den Zylinder, die Madonnen das Kind. Allesamt sind sie lang und schlank, und Kimme betont ihre Figur.

In Düsseldorf liebte man ihre exotischen Auftritte, aber nicht ihre Kunst. Die Folklore, die religiösen Zeremonien, die Frauen mit langen Hälsen und schlanken Körpern, die muskulösen und durchtrainierten Männer waren nichts für den Kunstmarkt. Dort sortierte man die Kunst nach Trends. Ihr erstaunlicher Realismus hatte da nichts zu suchen. Eine ihrer Holzskulpturen stand 1988 vor der Kunstakademie, wich aber einem Toilettenhäuschen. Als sie 2003 in der Düsseldorfer Galerie Schuler ausstellte, musste sie die Kosten auch für den Rücktransport tragen, weil sich kein Käufer fand. Wie gut, dass Tony Cragg ein sicheres Auge hat und der wundervollen Frau im Skulpturenpark Waldfrieden posthum eine Ausstellung widmet.

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