Fotografie: Im ersten Blick liegt die Wahrheit

Mit einer alten Plattenkamera hat Jim Rakete noch einmal das gemacht, was er am besten kann: Menschen ganz nahe kommen.

Düsseldorf. Otto Sander runzelt die Stirn. "Wie denn jetzt?", fragt der Schauspieler und lehnt sich in verschiedenen Posen an eine Laterne. Der Wind verweht ihm die Haare, unbeeindruckt donnern die Autos auf der mehrspurigen Straße vorbei. "Ist doch egal", sagt Jim Rakete und drückt auf den Auslöser.

Es geht zackzack: Platte rein, auslösen, Platte raus, nächste Platte - und fertig. Der beckettsche Blick ins Leere, nur ein kurzer Moment, genau den wollte Jim Rakete mit seiner Kamera festhalten. Einer Mission folgend, die den 57-Jährigen seit seiner Schulzeit treibt: Ein Bild zu schaffen, das eine Weile hält.

Und weil der digitale Fortschritt seiner Fotokunst davonrennt, hat er sich im vergangenen Jahr noch einmal mit einer alten Plattenkamera eine Reihe deutscher Persönlichkeiten vorgenommen. Schauspieler, Politiker, Künstler - Weggefährten seiner eigenen Laufbahn und solche, die seiner Meinung nach gerade das Sprungbrett hochklettern. Entstanden sind eine Ausstellung, ein Katalog und ein Film. Im Düsseldorfer NRW-Forum stellten der Fotograf und die Regisseurin Claudia Müller "Jim Rakete - Ma vie" vor. Ein Porträt, das jemanden, der sich gerne hinter der Kamera versteckt, vor das Objektiv holt und ihn und seine Objekte befragt. Wer ist Jim Rakete?

"Er öffnet Gesichter", sagt Frank-Walter Steinmeier im Interview. Auch dieser weltgewandte Mann weiß nicht recht, wie er sich auf der Treppe im Auswärtigen Amt zurechtrücken soll. "Hock dich einfach dahin", sagt Rakete. Keine Schminke, keine Inszenierung. "Die Wahrheit liegt im ersten Blick", erklärt Rakete seine Art zu arbeiten. Ein authentischer Moment. Schnell und spontan. Und das könne die Fotografie besser als das Fernsehen.

Was unkompliziert und einfach scheint, ruht auf jahrzehntelanger Erfahrung. Kameras bezeichnet er als seine Verbündete. Bei manchen Menschen brauche er eine mit leisem Verschlussgeräusch, eine, die etwas langweile. "Langeweile sieht toll aus in Gesichtern." Manchmal wählt er eine, mit der er seine Objekte laut und schnell überfährt. Doch nie will er bloßstellen, nicht diffamieren oder mit einer Pointe treffen. "Das Zitat ist interessant. Es ist larger than life." Von digitaler Technik hält er nicht viel. "Damit verdiene ich Geld. Aber aufhängen würde ich mir sowas nicht."

Rakete hat das schon oft erklärt. Die Sätze kommen gekonnt, er muss nicht nachdenken. Dennoch klingt er nicht abgeklärt. Nicht im Film, aber auch nicht bei der Vorführung, zu der er mit seinem Team, das er Familie nennt, aus Berlin gekommen ist. Immer wieder lässt er amerikanische Phrasen seine Arbeit beschreiben: Dass es keine Schufterei sei, sondern alles "into place" falle. Sich selbst bezeichnet der Silberhaarige als schüchtern, wohlwissend, dass man ihm nicht glaubt. Nur ein bisschen vielleicht, wenn man etwa die Musikerin Annette Humpe befragt, die er in der Vergangenheit schon oft fotografierte. "So nah an die Seele kommt keiner außer Jim."

Die deutsche Musikszene war ihm lange so wichtig wie die Fotografie. Er managte Künstler wie Nina Hagen, Nena und Spliff. Doch dieses Geschäft juckt ihn heute nicht mehr in den Fingern. "Nur wenn ich bei Tokio Hotel den Fernseher ausschalten kann."

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