Große Dürer-Schau in Nürnberg

Nürnberg (dpa) - Da sitzt er, der 13-jährige Albrecht Dürer. Ernst und nachdenklich begrüßt er als leuchtend weiße Marmorplastik die Besucher in der Ausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum.

Die erst vor zwei Jahren wiederentdeckte Plastik von Friedrich Beer ist dem ersten Selbstporträt nachempfunden, das Dürer 1484 von sich selbst gezeichnet hat. Es markiert den Beginn seines Schaffens - und hängt daher folgerichtig am Anfang der Ausstellung, die am Donnerstag in Nürnberg eröffnet wird. Es ist die größte Dürer-Schau in Deutschland seit 40 Jahren.

120 Dürer-Werke aus zwölf Ländern sind dort bis zum 2. September versammelt. Darunter sind prachtvolle Meisterstücke wie die in intensiven Farben leuchtende „Anbetung der Könige“, die sonst in den Uffizien in Florenz hängt. Aber auch Dürers Aquarelle, seine Apokalypse-Serie oder die Konzeptkonstruktion eines Profilkopfes seien „eine Wucht“, betont Projektleiter Daniel Hess. Darüber hinaus zeigen zahlreiche Werke anderer Künstler, die mit dem Schaffen Dürers korrespondieren, das Wechselspiel mit dessen Lehrern und Vorbildern auf.

Drei Jahre lang hat das Team des Germanischen Nationalmuseums (GNM) im Vorfeld der Ausstellung geforscht. Dabei dachte die Fachwelt eigentlich, zu Dürer sei alles gesagt - allein 27 Regalmeter umfasst die Bibliothek des auf Dürer spezialisierten Nationalmuseums. Doch drei Zufallsfunde erschütterten den Glauben der Nürnberger in die vorliegende Literatur. Sie fingen an, das Frühwerk bis zu Dürers zweiter Venedig-Reise 1505 noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen - mit teils überraschenden Ergebnissen.

So legten die Forscher den Geniebegriff aus der Romantik ad acta und schauten sich das Umfeld Dürers aus der Perspektive um 1500 an. „Das war eine unglaublich dynamische Gesellschaftsschicht, in der Dürer aufgewachsen ist“, schildert Hess. Denn Nürnberg war zur Zeit des ausgehenden Mittelalters ein Zentrum der Avantgarde. Von seinen Nachbarn in der Burgstraße lernte Dürer gewissermaßen en passant neue, naturgetreue Maltechniken ebenso kennen wie aktuelle Geistesströmungen und Möglichkeiten, seine Kunst zu vermarkten.

„Das Klischee, dass Dürer nach Italien reisen musste, um eine neue Kunst über die Alpen zu bringen - davon können wir uns verabschieden. Sie war längst da“, schildert Hess. Auch Projektkoordinator Thomas Eser betont: „Wenn Dürer vermeintlich der Erfinder der Landschaftsmalerei ist, dann stimmt das nur bedingt. Er erfindet nichts neu, aber er erreicht ganz neue Qualitäten und Dimensionen in seinem Frühwerk.“

Auch andere Auffälligkeiten in Dürers Schaffen sehen die Forscher nun in einem anderen Licht. Mehr als alle anderen Künstler vor ihm hatte Dürer sich und sein privates Umfeld schon früh zum Thema seiner Werke gemacht. Bislang wurde dies meist als Schritt vom mittelalterlichen Handwerker zum freischaffenden Künstler der Renaissance gedeutet. Doch sogenannte Ego-Dokumente waren in Nürnberg schon ab etwa 1450 in Mode. Das Bürgertum hielt nicht nur in Familienchroniken wichtige Daten und Ereignisse fest, sondern wollte späteren Generationen auch Porträts der Vorfahren hinterlassen. Dürers Vater hatte sich um 1484 ebenfalls selbst verewigt.

Die erste der vier Sektionen der Ausstellung ist denn auch folgerichtig mit „Ich und mein herkumen“ überschrieben. Der thematische Bogen spannt sich weiter über „Abmachen und Neumachen“ und den „Dramatiker“ Dürer bis hin zur Frage „Neue Kunst?“. Auf bis zu 150 000 Besucher hat sich das Nationalmuseum vorerst eingestellt; werden es mehr, bleiben die Türen abends länger geöffnet.

Zumindest in Bayern hat die Ausstellung bereits reichlich Aufmerksamkeit erregt. Anfang des Jahres schlug ein Konflikt zwischen dem GNM und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hohe Wellen, als die Münchner die Bitte der Nürnberger ablehnten, Dürers weltberühmtes „Selbstbildnis im Pelzrock“ aus der Alten Pinakothek auszuleihen. Der Zustand des Bildes sei allzu schlecht, hieß es zur Begründung.

Doch in Franken wurde die Weigerung als typische Münchner Arroganz verstanden. Der Streit wurde zu einem Politikum, alle fünf Landtagsfraktionen sprachen sich in Dringlichkeitsanträgen für die Ausleihe aus. Erst ein von den Münchner und Nürnberger Restauratoren gemeinsam erstelltes Gutachten befriedete die emotional geführte Debatte. Ergebnis: Das fragile Werk ist nicht transportfähig. In der Ausstellung hängt nun eine Reproduktion. Doch angesichts der Fülle der knapp 200 Exponate ist sich Generaldirektor Ulrich Großmann sicher: „Der Besucher wird hier nichts vermissen.“

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