Provokation und Tabubruch: Zum Sterben ins Museum

Der Mönchengladbacher Künstler Gregor Schneider will den Übergang zum Tod öffentlich zur Schau stellen.

Krefeld/Mönchengladbach. Gregor Schneider ist kein Bildhauer, der Skulpturen schafft. Ihm geht es um Grenzerfahrungen. Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst sieht man durch eine gläserne Ladenfront in einen kalt ausgeleuchteten Raum. Hinter einem Mauervorsprung liegt die Gestalt eines regungslosen Körpers.

Nur die Beine sind sichtbar. Die Arbeit wirkt wie der Endpunkt eines Menschen. Unzählige Male hat er sein Alter Ego als "Hannelore Reuen" wie tot in irgendwelchen Ecken präsentiert, erstmals im Gartenhaus von Haus Lange in Krefeld. Nun möchte er dorthin mit einer kompromissloseren Idee zurückkehren:

"Mein Ziel ist es, die Schönheit des Todes zu zeigen", sagte er der Kunstzeitschrift The Art Newspaper. Er möchte eine Person, die gerade stirbt oder gestorben ist, in sein Werk einbeziehen und dabei mit einer Pathologin oder einem Hospizverein zusammenarbeiten.

Schneider ist bekannt für seine Tabubrüche, bei denen er das Leben in die Kunst einbezieht. 2001 erhielt er den Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig, als er sein Eigenheim, das "tote haus ur", in den deutschen Pavillon baute und die Besucher auf allen Vieren durch ein unheimliches Labyrinth kriechen ließ.

Ende der 90er Jahre hatte er im Museum Abteiberg in Mönchengladbach das Gefühl des doppelten Bodens weiter getrieben, bis der Besucher verzweifelt nach einem Ausgang suchte.

Nun soll also der Tod zur Live-Erfahrung werden. Die Stadt Krefeld als Eigentümerin von Haus Lange lehnt eine solche Kunst-Performance entschieden ab, in der eine Person eines natürlichen Todes stirbt oder kurz zuvor gestorben ist. "In unseren Museen wird es eine solche pietätlose Aktion unter gar keinen Umständen geben", heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt.

Krefelds Museumschef Martin Hentschel und Kulturdezernent Roland Schneider (SPD) sind einer Meinung. Im Gespräch mit unserer Zeitung nennt Hentschel die Gründe: "Ich halte so ein Projekt für ein reines Spektakel, was mit Kunst wenig zu tun hat. Das ist das ultimative Event im Rahmen einer aufgeheizten Kultur. Ich betrachte es nicht als etwas Seriöses."

"Für Schneider ist der Gedanke an einen Todgeweihten oder Sterbenden eine logische Konsequenz seines Werkansatzes", sagt Hentschel. "Er arbeitet nicht mit Metaphern, sondern mit Suggestionen. Das haut teilweise hin, wie in Venedig. Aber schon "Die weiße Folter" im K21 war überreizt.

Der Widerspruch liegt darin, dass man ein reales Erlebnis von Bedrohung haben soll, aber sich gleichzeitig in einem geschützten Kunstraum befindet. Diese Rechnung geht nicht auf. Kiki Smith reflektiert in ihrer Krefelder Ausstellung auch Sterblichkeit und Tod, aber mit vielfältigen Metaphern."

Veit Loers, Ex-Chef am Abteiberg, und seine Nachfolgerin Susanne Titz reagieren abwartend. "Gregor Schneider denkt die verstorbenen Ahnen in seinen Werken immer mit", erklärt Loers. Statt einer Stellungnahme sagt er: "Ich glaube, er findet niemanden, der da mitmacht.

Das ist schon eine makabre Idee." Susanne Titz lobt Schneiders "existentielle Momente" und "extreme Situationen". Kein Wort von Geschmacklosigkeit oder allzu großzügigen Grenzerfahrungen mit dem Tod.

Der Tod ist das letzte Tabu in unserer Gesellschaft. Dass Künstler an diesem Tabu rühren wollen, ist ihre Pflicht. Gregor Schneider hat sich in seiner Kunst viel mit dem Tod beschäftigt, stellte sich selbst etwa in einer Ausstellung tot. Jetzt geht er einen Schritt weiter und will das Sterben in Echtzeit im Museum zeigen.

Das ist konsequent gedacht, aber exakt ein Schritt zu weit. Er verletzt bei allem Verständnis für die Kunstfreiheit die Würde des Menschen. Bislang ging es Schneider nie um plumpe Provokation, mit dieser pietätlosen Aktion würde er sich diesen Vorwurf gefallen lassen müssen.

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