Bayreuther Festspiele: Holländer im Zahlenstrom

Darsteller Samuel Youn wird in Bayreuth bejubelt. In Wagners Oper gibt es statt Ozeanen und Schiffen jetzt eine Schuldenuhr.

Bayreuth. Seit Jahrhunderten irrt der Holländer über die Weltmeere, ohne zur Ruhe zu kommen. Er sehnt sich nach dem Tod, der ihm nicht vergönnt ist. Doch alle sieben Jahre spült ihn der Ozean an Land und gibt dem Seefahrer die Chance, eine Frau zu finden, die ihm ewige Treue hält und ihn damit von seinem Fluch erlöst.

Auf Basis dieses Mythos hat Richard Wagner seine Oper „Der fliegende Holländer“ komponiert. In der Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen gibt es am Mittwochabend jedoch kein Schiff. Der Holländer taucht als Geschäftsreisender auf — in dunklem Anzug, mit Schlips und schwarzem Trolley.

Das Meer, von dem immer die Rede ist und dessen Brausen Wagner musikalisch nachahmt, bleibt dem Auge ebenfalls verborgen. Stattdessen wird ein großes Gerüst sichtbar, in dem weiße Lichter wie Blitze aufflackern. Lange Zahlenreihen tauchen in dem Leuchtfeuerwerk auf. Die angezeigten Beträge wachsen rasant an — wie auf der Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes.

Der 31-jährige Regisseur und Bayreuth-Debütant Jan Philipp Gloger legt die Meeres-Metaphorik ziemlich trocken, und verwandelt die Ozeane in einen Daten- und Zahlenstrom der modernen Geschäftswelt. An Wagners Oper erinnert auf der Bühne fast nichts. Allenfalls das kleine braune Ruderboot, in dem Kapitän Daland und sein Steuermann stehen und unbeholfen balancieren, erinnert an Schiffsverkehr.

Wirkt das von Christoph Hetzer gebaute und von Martin Eidenberger mit Videoinstallationen illuminierte Bühnenbild am Anfang noch effektvoll, verbreitet die Staffage in der Spinnstubenszene gähnende Langeweile. Die Packabteilung eines Ventilatorenherstellers wird dem Zuschauer vor Augen geführt. Anstelle der Spinnspulen drehen sich also die Windrotoren.

Dalands Tochter Senta arbeitet nicht mit, sondern baut sich aus Pappkartons eine Fantasiewelt samt eines Karton-Männchens, das den Holländer darstellen soll — den Mann ihrer Träume.

Eben dieser steht plötzlich mit seinem Köfferchen auf der Matte. Jetzt könnte es ein Happy End geben, doch gegen Schluss der Oper misstraut der eifersüchtige Holländer Sentas Treueschwur. Senta bekräftigt ihn mit Harakiri, dessen Messerstich auf geheimnisvolle Weise auch den Holländer tötet. Das sterbende Paar umarmt sich und erstarrt zur Skulptur.

Ebenso starr wie dieses Standbild wirkt die Praxis an beinahe allen europäischen Opernhäusern, jede Handlung anders zu erzählen als der Autor. Und da es somit Widersprüche zwischen Text und Bild gibt, kommt das beim Publikum meist schlecht an.

In Bayreuth hat es inzwischen Tradition, das Regieteam auszubuhen — wie auch jetzt. Jubel gibt es indes für den Dirigenten Christian Thielemann und das superbe Festspielorchester. Aus dem Orchestergraben dringen kraftvolle Wagner-Klänge, die mitreißen. Ovationen auch für den stets brillanten Festspiel-Chor und die Gesangssolisten. Der koreanische Heldenbariton Samuel Youn, Ensemblemitglied der Kölner Oper, füllt die Partie des Holländers stimmlich voluminös und darstellerisch differenziert aus. Er ist kurzfristig für den Russen Evgeny Nikitin eingesprungen, der wegen Tätowierungen mit Nazi-Symbolen aus seinem Bayreuth-Engagement ausgeschieden war.

Zu den sängerischen Höhepunkten gehören noch der Tenor Benjamin Bruns als lyrischer und textverständlicher Steuermann und der nobel singende Franz-Josef Selig als Daland. Sopranistin Adrianne Pieczonka besitzt viel stimmliche Dramatik und starke Bühnenpräsenz.

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