Bergische Biennale: Der Chef musiziert selbst

Der Leiter der Wuppertaler Musikhochschule, Lutz-Werner Hesse, präsentiert am Samstag seine Uraufführung.

Wuppertal. "Mahler war eine existentielle Erfahrung für mich. Mit ihm kam der Vorsatz, irgendwas mit Musik zu machen", sagt der Wuppertaler Komponist Lutz-Werner Hesse. Als Zwölfjähriger begleitete er seine Eltern ins Konzert und geriet bei der Aufführung eines Provinzorchesters aus Utah in den Bann einer Musik, an der er nur wachsen oder scheitern konnte. Er begann bald, nach Mahler-Manier eigene Werke zu schreiben. Es kam das Unausweichliche: Der Junge scheiterte. Weil aber das Leben spannender und gerechter sein kann als ein Roman, wurde aus dem vorpubertären Defiziten kein bühnengerechtes Desaster.

Hesse machte weiter, nahm im Alter von 14 Jahren - ungewöhnlich spät - den ersten Klavierunterricht, um sich dann auf das Waldhorn zu kaprizieren - für Mahler passender. Außerdem eröffnete dieses Instrument die Möglichkeit, schon in jungen Jahren ins Orchester einzutreten, öffentlich zu spielen und mit der Musik eine erste Existenzgrundlage zu schaffen.

Inzwischen ist Hesse geschäftsführender Direktor einer Lehranstalt mit sperrigem Namen: Hochschule für Musik und Tanz Köln Abteilung Wuppertal. Lächelnd steht er vor dem Eingang des Hauses und grübelt, warum so lange nach dem innerstädtischen Umzug der Hochschule die Hinweistafel immer noch nicht angebracht ist. Solche verwaltungstechnischen Sorgen hat Hesse, seitdem er vor gut einem Jahr den Chefsessel eingenommen hat.

Von dort fällt der Blick so schnurgerade auf das Porträt Gustav Mahlers, als habe ein fernöstlicher Lehrmeister die Büroeinrichtung nach Feng Shui verordnet. Tatsächlich besitzt Hesse eine ausgeprägte Affinität zu Japan, wo immer wieder seine Kompositionen aufgeführt werden. Und Mahler ist immer eine Richtschnur in Hesses Leben geblieben. Eine Vorliebe für Bruckner kam und ging, Beethoven ging und kam, Mozart war nie Favorit, bis er kürzlich in einem neuen Licht aufschien. Nur an Mahler sei für ihn kein Stück jemals verblasst.

Indessen sucht Hesse gewiss nicht mehr dieses große Werk zu bannen, indem er es nachahmt. Sein Musikstudium in Köln fiel in eine Zeit des Umbruchs, als heftig die Theorien Adornos diskutiert wurden. Dieser hatte propagiert, dass nach Auschwitz kein Gedicht mehr möglich sei und die Musik atonal bleiben müsse. Als aber mit Manfred Trojahn oder Wolfgang Rihm erste Komponisten von dieser Sicht abrückten, um sich an Mahler neu zu orientieren, reifte auch in Hesse die Überzeugung, doch nie so falsch gelegen zu haben.

"Ich habe immer die Wurzeln zur Tonalität bewahrt", sagt er. Als Komponist schreibe er, was er inhaltlich höre. Das kann ein Gemälde sein. "Die Vertreibung der Teufel aus Arezzo" von Giotto gab so einen Anstoß. In Hesses musikalischer Umsetzung entschwirren der Orgel die Dämonen, bis der Motor erschlafft und die Teufelchen in Winseln und Wimmern verfallen. Doch die Anregung durch Bilder sei die Ausnahme. Eher bestehe etwa eine Idee darin, einen sphärischen Klangteppich auszulegen, wobei seine Werke für Neue Musik recht eingängig sind.

Viele Werke des mittlerweile renommierten Komponisten Lutz-Werner Hesse entstehen als Auftragsarbeiten mit bestimmten Vorgaben, etwa sein Opus 34 für die 100-Jahrfeier der Wuppertaler Stadthalle. Rundfunksender produzierten seine Kompositionen und das Landespolizeiorchester NRW ließ sich das Werk "Sky Train" auf den Klangkörper schreiben.

"Ideen hat man viele", sagt Hesse, "und vieles davon wandert in den Mülleimer." Seitdem mit dem Hochschulbetrieb selbst "die Ferien nicht mehr das sind, was sie einmal waren", muss vieles warten, vor allem die Monumentalwerke. Da er zur positiven Sicht der Dinge neigt, erkennt Hesse den Vorteil, dass er sich in der wenigen verbleibenden Zeit dann eben den kleinen Kompositionen zuwenden kann, dem Kammermusikalischen. Gearbeitet wird ausschließlich daheim. In fremder Umgebung bringe er nicht eine Note zu Papier, da würden die Dinge stets willig in die falsche Richtung laufen.

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