Biffy Clyro: Schotten-Rock

Das sechste Album von Biffy Clyro steht seit Freitag in den Regalen — und weist den Weg in eine verheißungsvolle Zukunft.

Düsseldorf. Was kann man anfangen mit seinem Leben, wenn man in der schottischen Einöde von Kilmarnock und Ayr aufgewachsen ist? Touristen kommen hier nicht vorbei. Das traditionelle Baumstammwerfen geht auf Dauer zu sehr auf die Knochen. Und Folk mit Dudelsack macht hier schon jeder vierjährige Rotschopf mit Sommersprossen.

Dummerweise kommen Simon Neil, James und Ben Johnston von Biffy Clyro aus Kilmarnock und Ayr. Sie aber nutzten ihre Chance: Sie ließen sich alberne Tattoos stechen, gründeten eine Band, der sie einen Fantasienamen gaben (der an irgendwas zwischen Hobbits und Vampirjägern erinnert), ließen den Dudelsack weg — und spielten Rock. Krach machen und Aggressionen rauslassen hatte schließlich schon William „Braveheart“ Wallace zum Sieg gegen die Engländer verholfen.

Märtyrertod und ewige Heldenverehrung wie bei ihrem Nationalheiligen — so weit sind Biffy Clyro natürlich noch nicht. Aber sie haben dafür schon fünf Alben veröffentlicht. Das sechste, „Opposites“, steht seit gestern in den Regalen und führt den Weg der Schotten in eine verheißungsvolle Richtung: Raus aus der Provinz, rein in den Magen, wo es schön grummelt. Und nicht zuletzt rein in die großen Arenen.

Dabei waren Biffy Clyro anfangs gar nicht so angesagt bei der Masse. Da kamen sie mit ihrem progressiven Rock-Gekrache in Songs ohne Refrain, aberwitzigen Gitarrensoli und Riffwänden eher so griesgrämig und grobschlächtig daher, wie man sich Highlander dem Klischee entsprechend vorstellt.

Die ersten Alben „Blackened Sky“ (2002), „The Vertigo Of Bliss“ (2003) und „Infinity Land“ (2004) hörten sich an wie Nirvana auf Valium und Speed gleichzeitig und waren für Freaks mit dickem Backenbart und einer Sozialisation zwischen Heavy Metal und trockener Musiktheorie gemacht. Die Barriere riss „Puzzle“ (2007) ein. Biffy Clyro hatten laut Simon Neil nämlich etwas entdeckt: „Irgendwann merkst du, dass du nicht mehr nur so klingen willst wie deine Lieblingsband. Du willst selbst zu deiner Lieblingsband werden.“

Und plötzlich waren die Melodien da — man muss ja nicht immer nur Schlachten schlagen auf seinen Instrumenten. Man kann sie auch mal streicheln und Schönes hervorzaubern. Die Welt erkannte wie einst die in die Flucht geschlagenen Engländer: Schau an, die Schotten, die haben es drauf!

Die Menschen rannten in die Konzerte. Und sie rannten den Plattenläden die Türen ein, als 2009 „Only Revolutions“ rauskam. Es war der Vorschlaghammer, der die Mauer um die Provinz zertrümmerte. Ein musikalischer Sieg der Band über das Nischendasein, der in einem halben Dutzend Awards und einem gigantischen Auftritt in der Wembley-Arena gipfelte, bei dem es das Trio nur so krachen ließ.

„The Captain“, „That Golden Rule“, „Bubbles“ — das waren und sind Melodien, die so himmelhochjauchzend dröhnen, dass man sie hören muss, weil sie nicht beschrieben werden können.

Biffy Clyro hatten in ihren ersten Jahren vor lauter Anspannung die Luft angehalten. Mit „Puzzle“ hatten sie innegehalten. Jetzt pusteten sie einen Sturm heraus.

„Opposites“ haut vier Jahre später in dieselbe Kerbe — gnadenlos über wahlweise zwei CDs, vier LPs oder 20 Songs. Da sind natürlich zwangsläufig ein paar Füller dabei. Aber spätestens im Song „Biblical“ (biblisch) ist die Latte gerissen, und es geht mit Chören und ins Ohr fräsenden Druck-Gitarren wieder in Richtung große Geste.

Manch einem mag das vielleicht etwas zu pathetisch sein. Aber genau so haben es die Schotten ja immer schon gehalten, denn Pathos ist die Motivation der scheinbar Unterlegenen. „Für dich würde ich jederzeit sterben“, singt Simon Neil in „Victory Over The Sun“ und fragt: „Würdest du auch für mich sterben?“

So muss William Wallace damals auch zu seinen zerrupften Kriegern gesprochen haben. Die Geschichte lehrt, dass sie mit „Ja“ antworteten. 700 Jahre später würde manch einer auch Opfer bringen, um Biffy Clyro live zu sehen.

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