Broilers: Poesie für den reifen Punker

Die Düsseldorfer Broilers sind plötzlich in aller Munde. Warum? Zum Beispiel weil sie wissen, wie man Hymnen schreibt.

Diese Band wäre nirgends besser aufgehoben: Büro und Probenraum der Broilers liegen in einem alten Hinterhof an der Ronsdorfer Straße in Düsseldorf. Hier wurde zwar alles kernsaniert. Hier ist aber trotzdem noch das Schmuddel-Flair des nahen Arbeiterstadtteils Flingern spürbar.

Zudem atmet dieses Viertel Musik: Um die Ecke liegen mit dem ehemaligen Tor 3, dem Stahlwerk, dem Zakk und dem AK 47 Konzertschuppen, in denen immer schon eher der musikalische Untergrund regierte. Und genau dafür stehen die Broilers derzeit so erfolgreich wie keine andere Band in Deutschland.

Als Frontmann Sammy Amara im zweiten Stock die Tür öffnet, trägt er ein ärmelloses Hemd. Auf dem linken Arm prangt ein frisches Tattoo: „Santa Muerte“ steht da. Es ist der Name einer fiktiven Stadt, der etwa so viel bedeutet wie „Heiliger Tod“. Und es ist der Name des neuen Broilers-Albums, der so gar nicht zu einer Band passen will, die alles andere als tot ist: Die Broilers legen gerade einen rasanten und bemerkenswerten Werdegang hin.

Der Deutsch-Iraner Amara und sein Schulkumpel Andy Brüggen waren 1994 noch nicht volljährig, als sie im Süden Düsseldorfs die Broilers gründeten. Als Skinhead-Band. Wohlgemerkt: Im ursprünglichen Sinne dieser Ende der 1960er von jamaikanischen Auswanderern und weißen Arbeiter-Kids in London generierten Bewegung — also strikt unpolitisch. Glatzen und der wüste, dem Milieu entspringende Oi!-Punk waren unabdingbare Voraussetzungen, eine über die Szene hinaus gehende Popularität ausgeschlossen. Allein der Gedanke wäre irrsinnig gewesen.

Und doch wurde aus dem Irrsinn Realität. „Es war ein schleichender Prozess“, sagt Amara. „Und er hatte mit Mut zu tun.“ Denn die Punk- und Skinhead-Szene ist starrköpfig, ihre Parameter sind klar definiert: kein Kommerz, Traditionspflege — und eine Wut, die rausgebrüllt werden muss. „Es hat mich Überwindung gekostet, mit dem Gegröle am Mikro aufzuhören und meine wahre Stimme zu zeigen“, sagt Amara. Aber er traute sich. Und mit ihm traute sich die Band, etwas zu verändern.

Spätestens mit dem vierten Album „Vanitas“ (2007) war es soweit: Die Broilers stießen die Szene vor den Kopf. Da waren plötzlich sauberer Gesang und ein Punkrock, dem Ska, Soul, Folk und Pop beigemischt wurden. Die Texte waren nicht mehr juvenile Hasstiraden oder Spaßreime, sondern tröstliche Alltagsgedichte über die Großstadt, über Glücksspieler und Verlierer — mit einem Hang zu Pathos und Romantik.

Ein bisschen Springsteen hier, ein wenig „Der Pate“ dort. Poesie für den reifen Punker. Auf „Santa Muerte“ erreicht dieser Stil seinen Höhepunkt in Sätzen wie „Ich muss diese Welt erst in Flammen sehen“ oder „Wir wollten doch Geschichte schreiben, nicht den verdammten Einkaufszettel“, in melancholischen Rocksongs wie „Verdammte Stille“ oder „Wie weit wir gehen“.

Plötzlich sind die Broilers in aller Munde — vielleicht, weil sie an längst vergangene Tage der Toten Hosen erinnern, die damals den „Bommerlunder“ hinter sich ließen und mit „Hier kommt Alex“ Zeitgeist-Punk für alle machten.

Zuletzt gaben sie ausverkaufte Konzerte in mittelgroßen Hallen und traten bei „Rock am Ring“ auf. Und derzeit entdecken fast alle relevanten Musik-Zeitschriften die Düsseldorfer Band, sogar das nostalgische Dylan-Jagger-Blatt „Rolling Stone“.

Woher kommt diese Faszination für eine ehemalige Spartenband? Erstens: Die Broilers wissen, wie man Hymnen schreibt. Zweitens: „Wir haben es geschafft, stets wir selbst zu bleiben“, sagt Amara. Die erwachsen gewordenen Broilers würden nie ihre Wurzeln verleugnen. Die alten Songs spielen sie immer noch. Trotz aller Anfeindungen der Szene-Hardliner sind ihnen viele Fans der ersten Stunde treu geblieben, weil sie die volksnahe Band wachsen sahen.

„Die Attitüde hat sich nie geändert“, betont Amara. Und deshalb sei es auch wahrscheinlich, dass die glatzköpfigen Broilers von damals die Broilers von heute hören würden. „Vielleicht nur heimlich“, vermutet er. „Aber: In 15 Jahren würden sie sich dann an einen geilen Sommer erinnern, in dem sie unsere Platte aufgelegt haben.“

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