Deichkind: Manifest der Feierlaune

Einst eine von vielen Hamburger Hip-Hop-Bands, haben Deichkind eine 360-Grad-Drehung vollzogen. Seitdem bedienen sie sich publikumswirksam sämtlicher Popstile.

Düsseldorf. Sie sind die Karnevalisten in der sonst so bitterernsten deutschen Pop-Landschaft. Aus ihren Songs schreit die grenzenlose Gier nach dem Party-Exzess. Deichkind - das ist der Soundtrack für all diejenigen, die ihre Synapsen ausschalten und den tristen Alltag mit feucht-fröhlicher Anarchie überwinden wollen. So fragt das Hamburger Kollektiv gleich im Opener des neuen Albums "Arbeit nervt" in Anspielung auf die "Internationale": "Hört ihr die Sauf-Signale?"

Die Antwort kann nur lauten: Ja, sie sind unüberhörbar. Da bollern stumpfe Techno-Beats, die Kirmesbuden-Schreihals H.P. Baxxter, den Frontmann von Scooter, vor Neid erblassen lassen würde. Da schlagen gerappte Slogans wie "Urlaub vom Urlaub" oder "Wir sind so aufgekratzt / champagner aufgemacht" Purzelbäume und verdichten sich zu einem Manifest der Feierlaune. Der Freitagabend als Insel der Glückseligen. Die kollektive Enthemmung als Prinzip.

Natürlich ist die Aufgedrehtheit, die Deichkind in ihrer Musik (laut Selbstdefinition "Techrap") praktizieren, auch eine ironische Pose. Auf der Bühne wird das besonders deutlich: Da schlüpfen Philipp Grütering, Ferris MC, Sebi Hackert, DJ Phono und Porky in Mülltüten, geben auf Hüpfburgen die durchgeknallten Turnmäxe, bespritzen das Publikum aus einer überdimensionalen Zitze mit Jägermeister. Mehr Perfomance als Konzert ist das, eine Art Pausenklamauk für gefühlte Komatrinker. So mancher sich intellektuell wähnende Zuschauer interpretiert die Freak-Show dann gerne als "Satire". Was die Sache nicht ganz trifft.

Es ist eher so, dass das Deichkind-Publikum - oftmals alternativ angehauchte Studenten - auch mal ohne Sinn und Verstand feiern, die innere Ballermannisierung erleben will. Im Gegensatz zur sangria-aufgeputschten Jürgen-Drews-Kientel, die El Arenal bevölkert, benötigt es dafür bloß eine geistige Legitimation.

Die liefert Deichkind mit ihrem pseudo-subversiven Überbau. Ein Beispiel dafür ist die Single-Auskopplung "Arbeit nervt", deren Text genau so gut dem Programm des in Hamburg aktiven kommunalpolitischen Spaß-Bündnisses "Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands" (APPD) entlehnt sein könnte. "Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagers", wird da festgestellt. Und eine Wort-Kanonade in bestem Hip-Hopper-Stabreim losgelassen, die keine Zweifel daran lässt, dass ein Ausbruch aus der Enge der Wochentags-Leistungswelt gesellschaftlich notwendig erscheint: "Priester, Putzfrauen, Pizzabäcker, Proktologen wollen lieber popeln, prügeln und pogen." Im Hintergrund wummern Love-Parade taugliche Basedrums, und Loops singen sinnentleert und endlos kreisend "Yeah, yeah, yeah".

Die Verquickung von Party-Hedonismus und Rebellion, elektronischer Musik und Rap war übrigens nicht immer typisch für Deichkind. Die Band hat 2005 eine 360-Grad-Drehung vollzogen - zuvor waren Deichkind nur eine von vielen Hamburger Hip-Hop-Gruppen wie Dynamite Deluxe, Eins, Zwo oder Absolute Beginner. Der Fokus lag auf Standard-Rap. Auf dem Bundesvision Song Contest von Stefan Raab hoben sie dann, in veränderter Besetzung, ihren neuen, überdrehten Stil aus der Taufe. Sie präsentierten, gekleidet in Silberanzüge, einen hibbeligen Song namens "Electric Super Dance Band". Der belegte nur den 14. Platz. Kein Wunder - die Elektro-Nummer war dem Mainstream-Fernsehpublikum einfach zu schräg.

2006 fanden Deichkind dann aber endgültig zu ihrer wahren Bestimmung als augenzwinkernde Spaßfetischisten mit Hang zum Trash, auch wenn die Gründungsmitglieder Malte Pittner und Buddy Inflagranti die Band nach Veröffentlichung ihres neuen Albums "Aufstand im Schlaraffenland" verließen. Ironie war die Maxime dieser Platte, genauso wie auch der viel gespielten, wie bekloppt pumpenden Single "Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)", die von einer aus dem Ruder gelaufenen Teenie-Party erzählt. Durch die Dauer-Rotation hat sich der Witz freilich mächtig abgenutzt. Denn inzwischen läuft "Remmidemmi" auch in einschlägigen Diskotheken auf Mallorca.

Kurzkritik

Deichkind bedienen sich geschickt der Stilgeschichte des Pops. Die Zitate, auf die sie zurückgreifen, schwanken zwischen Bad-Taste-Dancefloor und geschmackvoller Elektro-Tradition. Da klingen in Songs wie "23 Dohlen" Plastik-Sounds im Stil von Scooter durch, andererseits in Liedern wie "Ich und mein Computer" Anleihen von Kraftwerk oder dem French-House-Projekt Daft Punk. Die Tracks haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sollen treiben, die Tanzfläche zum Kochen bringen. Das einzige Problem: Die plakativen Mitgröl-Texte entwickeln oft nicht die groteske Ironie, die sie eigentlich beabsichtigen. Die Feinheiten fehlen, und so dürfen sich Deichkind nicht wundern, wenn sie mit ihren Songs ein Publikum anlocken, das sie nicht ansprechen wollten.

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