Gegen den Strich: „Orpheus in der Unterwelt“

Berlin (dpa) - Es ist ein Klassiker der Operette: Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ passt wie Sekt zu Silvester. Mit der Bearbeitung dieses Paradewerks der leichten Muße hat die Berliner Staatsoper das Stück jetzt gegen den Strich gebürstet - und dabei Heiterkeit, aber auch Kopfschütteln ausgelöst.

Statt Orchester ein Ensemble mit 20 Musikern, kaum Sänger, dafür fast nur Schauspieler aus dem Sprechtheater. Das Haus von Dirigent Daniel Barenboim hat sich eine musikalische Diät verschrieben.

In Interviews vor der Premiere hatte Regisseur Philipp Stölzl angekündigt, er wolle das 1858 uraufgeführte Stück des Kölners Offenbach (1819-1880) behutsam aktualisieren und Kabarett-Stimmung in das Schiller Theater bringen. Im Original dieser Liebeskomödie hat Offenbach jede Menge Anspielungen auf das Pariser Nachtleben in der Mitte des 19. Jahrhunderts untergebracht. Sogar Kaiser Napoleon III. bekommt sein Fett weg.

Offenbach und seine Librettisten Hector Cremieux und Ludovic Halevy nehmen die griechische Sage von Orpheus und Eurydike auf die Schippe und entwickeln daraus ein Sittenstück über Treue, Verrat und Doppelmoral. Über den göttlichen Gestalten, die allzu menschlich vor allem mit Seitensprüngen beschäftigt sind, herrscht die Öffentliche Meinung (Cornelius Obonya), die das Publikum durch den Abend führt und für die Moral der Geschichte zuständig ist.

Tatsächlich gelingen Opern-Quereinsteiger Stölzl, der Videos für Rammstein und Madonna und etwa das Alpen-Epos „Nordwand“ gedreht hat, einige Überraschungseffekte, etwa mit dem Bühnenbild von Conrad Moritz Reinhardt. Die liebevoll bemalten Kulissen lassen sich wie die Klapptexte in Kinderbüchern auf- und zu ziehen.

Doch die vom Max-Raabe-Begleiter Christoph Israel für die Orchester-Kombo umkomponierte Musik (Leitung: Julien Salemkour) ist alles andere als abendfüllend, zumal die Musiker auf der Hinterbühne fernab von den Zuhörern sitzen. Und auch das von Thomas Pigor umgeschriebene Libretto schwankt zwischen ein wenig Poesie und viel Alltagssprache mit läppischen Wortspielen.

So ist statt von den Mythengestalten Castor und Pollux von „Castrop-Rauxel“ die Rede und die angeblich vorbildliche Ehe von Orpheus und Eurydike wird zum Beitrag zur „Familienpolitik einer nachfolgenden Generation“. Da produziert der Hirte Aristeus aus Kreta „biologischen Feta“ und die Reise in die Hölle wird zum Betriebsausflug der Götter.

Auch das hochkarätige Schauspielerensemble mit einem etwas schwerfälligen Ben Becker in Mephisto-Maske als Eurydike-Verführer Pluto, Stefan Kurt in der Rolle des tumben Orpheus und Gustav Peter Wöhler, der im Fliegenkostüm als Götterchef Jupiter über die Bühne fliegt, müht sich über fast drei Stunden. Wenn sich der Chor um die wechselnden Liebespaare gruppiert und Evelin Novak (Eurydike) als einzige Sängerin im Mittelpunkt steht, werden ein wenig Offenbachs Poesie und Witz wachgeküsst.

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