Klassik: Die kleine Wolfsbändigerin am großen Flügel

Hélène Grimaud und das London Philharmonic Orchestra in der Tonhalle.

Düsseldorf. Ausnehmend hübsch sitzt die zierliche Französin Hélène Grimaud (39) am großen schwarzen Steinway-Konzertflügel auf dem Podium der Düsseldorfer Tonhalle und bewältigt Sergej Rachmaninows vollgriffiges, virtuoses 2. Klavierkonzert.

Die Pianistin scheint keine Angst zu kennen vor Dingen, die anderen Furcht einjagen könnten. Im Privatleben umgibt sie sich mit echten Wölfen, als Musikerin nimmt sie ein Ungetüm wie Rachmaninows "Zweites" an die Leine. Und dabei wirkt sie wie ein zartes Mädchen, das mit einem großen Hund Gassi geht. Es fragt sich nur: Geht sie mit ihm, oder er mit ihr?

Wer nun zum ersten Mal ein spätromantisches Klavierkonzert von solchem Kaliber live erlebt haben sollte, könnte beeindruckt sein von Grimauds tapferer Bewältigung dichter Akkord-Passagen und rasanter Bravourfiguren. Und den technischen Standard für Rachmaninow besitzt Hélène Grimaud zweifellos. Doch über die bloße Erfüllung der formalen Anforderungen geht ihre Darbietung kaum hinaus.

Der Anschlag wirkt undifferenziert und gleichförmig, nach Zwischentönen und Farbnuancen lauscht man vergebens. Vor allem im langsamen Satz wirkt die Wiedergabe farblos, aber vielleicht ist das nur verhalten. Immerhin wird Grimaud auch "die Philosophin am Klavier" genannt. Und Einsamkeit, hat sie in einem Interview gesagt, ist die Voraussetzung für die Erkenntnis.

Und ebenso erfreulich nimmt sich die Leistung des London Philharmonic Orchestra unter seinem jungen Chefdirigenten Vladimir Jurowski aus. Schon in den eröffnenden Symphonischen Fragmenten aus "Le Martyre de Saint-Sébastien" von Claude Debussy umhüllt ein warmer und seidiger Klang das Ohr. Debussys raffiniertes Spiel mit exotischen Akkordfolgen und schillernden Orchesterfarben entfalten sublime Leuchtkraft.

Virtuos und temperamentvoll gelingt am Ende des Abends Peter Tschaikowskys 3. Orchestersuite G-Dur op. 55. Vor allem der große Variationssatz, mit dem die Suite beschließt, entfaltet mitreißende Sogwirkung. In der Zugabe, dem "Blumenwalzer" aus Tschaikowskys "Nussknacker", neigt Jurowski allerdings zu atemlosen Tempi, bei der die florale Pracht des Walzers etwas einknickt. Viele Bravos im ausverkauften Saal.

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