Lambchop: Ruhe, Trauer und ein Schuss Sinatra

„Mr. M“ heißt das neue Album der US-Countryrocker Lambchop. Frontmann Kurt Wagner hat darauf den Swing für sich entdeckt.

Düsseldorf. In der Ruhe liegt die Kraft, heißt es — es ist eine Phrase. Und Phrasen sind eigentlich leer und nichtssagend. Lambchop aber haben aus der Phrase eine persönliche Maxime gemacht, die das ganze musikalische Schaffen dieser amerikanischen Band umfasst:

Ihre Musik nämlich klingt für die alternative Rock- und Countryszene, zu der sie offiziell gehören, geradezu absurd ruhig und minimalistisch. Wer ihr zehntes Studioalbum „Mr. M“ hört, der glaubt, einer Formation zu lauschen, die es schon seit Ewigkeiten gibt — und nicht erst seit Beginn der 1990er.

Vielleicht liegt die Ruhe dieser Band am ursprünglichen Lehrberuf des Lambchop-Frontmanns Kurt Wagner: Er ist gelernter Bodenleger und übte diesen Beruf auch noch in den ersten Jahren seiner Musikerkarriere aus. Und man kann sich gut vorstellen, wie er dabei vorging: Langsam jedes kleine Parkettstückchen einfügen, bis der Boden nach Stunden, Tagen oder Wochen fertig und aus dem Hand- ein Kunstwerk geworden ist.

Bei Lambchop funktioniert das Songwriting ähnlich: Die Band hat bis auf Wagner keinen festen Mitgliederstamm, sondern ist seit jeher eine offene Gemeinschaft von bis zu 15 Musikern, die je nach Lust, Laune und Verfügbarkeit zusammenfinden und Songs erschaffen. Sie sammeln Ideen, probieren aus, und am Ende steht — wie beim Parkettboden — ein homogenes Werk aus vielen Einzelteilen.

Lambchop einem Genre zuzuordnen, fällt dabei recht schwer. Natürlich passt die Bezeichnung „Alternative Country“, weil man die Anleihen an den amerikanischen Folk seit dem ersten Album „I Hope You’re Sitting Down“ (1994) immer wieder heraushört. Das ist auch kein Wunder: Wagner kommt aus Nashville/Tennessee, der Wiege des Country und der Americana-Leidenschaft. So etwas färbt ab. Es gibt aber auch noch andere Elemente: der Soul auf dem Debüt, die orchestrale Opulenz auf „Nixon“ (2000) oder der leise Postrock auf „Aw Cmon/No You Cmon“ (2004).

Und jetzt, bei „Mr. M“, ist es plötzlich ein ganz sachter, uralter Swing im — wie Wagner selber sagt — „Pseudo-Sinatra-Stil“. Er lässt den Hörer in melancholischen Harmonien schwelgen, die sich langsam und gemächlich aneinanderschmiegen.

Was anders ist als bisher, das ist die Geschichte, die hinter „Mr. M“ steckt: Während die vorigen Alben mit Songs wie „I Would Have Waited Here Today“ oder „About My Lighter“ häufig auf Wagners mitunter skurriler Sicht des Alltags beruhen, ist das neue Album eine Hommage an seinen engen Freund und Musikerkollegen Vic Chesnutt, der sich 2009 das Leben nahm.

Wagners ohnehin schon wunderbar zart-heisere Stimme wirkt auf einmal noch ein wenig zerbrechlicher, wenn er in „Nice Without Mercy“ über die Beerdigung Chesnutts singt. Oder wenn er im Titelsong auf vergangene Freundschaften eingeht.

Letztlich ist „Mr. M“ aber vor allem deswegen ein so famoses Album geworden, weil es einen Spagat bewältigt: Auf der einen Seite entfernt es Lambchop musikalisch noch ein Stück mehr von der alternativen Rock- und Countryszene, für die diese Band ohnehin schon immer viel zu vielseitig und erhaben war. Andererseits wird es Lambchop als einen der Vorzeige-Acts dieses Genres etablieren. Arcade Fire und Wilco ging es nicht anders, als sie begannen, sich vom Folk zu emanzipieren.

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