Neues Album der Ärzte: Mist — wieder kein Verriss

Die Ärzte sind ein bisschen eitel geworden, aber für begründete Kritik immer noch zu gut.

Berlin. Komplimente? Schwierig! Farin Urlaub auf jeden Fall hat mit all dem Lob der vergangenen 20 Jahre so seine Probleme: „Ich würde mir mal wieder wünschen, dass die Kritiker über uns herfallen, damit eine Situation eintritt wie nach einem Gewitter: Die Luft wäre dann wieder völlig klar.“

Also fangen wir ruhig mal damit an, was an „auch“, dem neuen Album der Ärzte, vielleicht nicht so richtig gelungen ist. Denn Lob, das kann man vorwegnehmen, gibt es noch genügend darüber auszuschütten.

Etwas eitel ist das zwölfte Album der drei Herren geworden. Durch einige der Texte strahlt jede Menge Selbstreflexion. Fast könnte man meinen, da hat jemand Angst vor dem Alter und verschleiert diese Angst, indem er lauthals brüllt, dass er eben keine Angst hat.

Breitbeinige Posen entstehen daraus — wie im Hip-Hop. Gut, bei den Ärzten sind das „Ich“ und das „Wir“ immer noch wohldosiert, wenn über persönliche Selbstbehauptung und Glaubwürdigkeitsverlust („Das darfst du“, „Freundschaft ist Kunst“) oder die alles verschleiernde Macht der Hormone („M&F“, „Ist das noch Punkrock?“) geätzt wird. Und weil die Pointen wieder sprachlich klar in schicke Reime gebettet sind, machen die Texte auch jede Menge Spaß.

Mist, da ist er also wieder: dieser Reflex, ihnen alles durchgehen lassen zu wollen, weil sie schlicht auf einem anderen Niveau spielen als all die anderen Bands, die deutsch singen und dabei erfolgreich sind.

Altherrenlarmoyanz? Das zu diagnostizieren, wäre so einfach, so griffig. Und so was von falsch! Immer wenn es droht, in selbstbezogenes Pathos abzurutschen, retten Ironie und lebensweiser Mittelfinger vor dem Ego-Gau.

Nein, mit dem Verriss, oder dem Ansatz von Kritik, wird es auch diesmal nichts. Selbst als Nabelschau-Popper sind die Ärzte immer noch ein Pfund. Sorry, Farin. Vielleicht war gerade die Entscheidung goldrichtig, im Vergleich zu „Jazz ist anders“ (2007) wieder etwas süffisanter zu werden, wenn man sich schon selbst in den Mittelpunkt rückt.

„Ich fand, dass uns das letzte Album mit ernsthafteren Themen ganz gut gestanden hat“, räumt Farin Urlaub ein. „Aber die anderen beiden meinten: Nee, das war damals, und jetzt machen wir ein albernes Album.“ Klar, mit ernsten Songs wie „Himmelblau“, „Breit“ oder „Die ewige Maitresse“ war der Vorgänger fast schon so etwas wie sozialkritisch. Dass auf „auch“ jetzt wieder mit breitem Grinsen und keckem Augenzwinkern die „Mitten in die Fresse“-Mentalität wuchert, heißt aber nicht, dass kein Tiefgang vorhanden wäre.

Vergänglichkeit im Spiegel des Zeitgeists wurde vielleicht noch nie so rührend und drollig besungen wie in Rod Gonzalez‘ „Tamagotchi“. Und in Farin Urlaubs wunderbarem „Waldspaziergang mit Folgen“ wird mit nüchternem Zungenschlag das vollmundige Thema „Lebensentwürfe“ als banaler Selbstbetrug enttarnt.

„Natürlich“, so Urlaub, „wird die Diskrepanz zwischen dem, was mich privat interessiert, und dem, worüber ich meine, singen zu können, mit den Jahren immer größer. Solange ich aber Songs wie den ,Waldspaziergang‘ mit aufs Album packen kann, ist noch alles in Ordnung.“

Der 48-Jährige hört sie also ticken, die Uhr. Solange sie ihn und seine beiden Kollegen nicht nervös macht, bleibt aber alles beim Alten: Die Ärzte sind die beste Band der Welt. Immer noch.

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