Notenblätter-Sammlung: Der Schatz im Musikschrank

Ein fränkischer Graf sammelte Noten bedeutender Komponisten seiner Zeit — 300 Jahre später findet sein üppiges Archiv neue Liebhaber.

Wiesentheid. Das Schloss mit den runden Ecktürmen und dem Doppelwappen über dem Portal strahlt altadlige Herrlichkeit aus.

In diesen Mauern hütet Paul Graf von Schönborn eine musikalische Schatzkiste: Das Notenarchiv seines Vorfahren Rudolf Franz Erwein, Anfang des 18. Jahrhunderts Schlossherr im unterfränkischen Wiesentheid.

In einem feuerfesten Schrank stehen kostbare Handschriften und Drucke mit Werken vieler bedeutender Komponisten der Zeit, darunter Monteverdi, Telemann und Vivaldi. Zum Teil handelt es sich um die einzigen noch erhaltenen Originale.

Die ungewöhnliche Sammlung ist bislang nur Kennern ein Begriff. Doch das könnte sich ändern — nach 300 Jahren entdeckt die Klassik-Szene die Notenblätter des fränkischen Grafen. Immer wieder erscheint sein Logo zurzeit auf Booklets neuer CDs, allein in diesem Jahr erschienen fünf Alben mit Stücken aus Wiesentheid.

„In den vergangenen fünf Jahren ist barocke Kammermusik mehr in Mode gekommen. Damit ist auch das Interesse an den Noten gestiegen“, sagt Graf von Schönborn.

Die fast 500 Handschriften und 140 Drucke aus dem gräflichen Nachlass geben einen bemerkenswerten Einblick in die höfische Musikkultur des ausgehenden Barock. Der begeisterte Cellist Rudolf Franz Erwein von Schönborn nutzte seine Verbindungen, um sich mit Noten bekannter Komponisten einzudecken — einige der Vivaldi-Konzerte besorgte ein Mainzer Gesandter in Venedig nebenbei.

Musiker arbeiteten damals vor allem an Fürstenhäusern, die sich solche Kulturbeflissenheit leisten konnten — in Wien, Paris, Stuttgart oder Venedig. Künstler aus Italien standen besonders hoch im Kurs. Dort verbrachte der spätere Graf von Wiesentheid drei Jahre am Collegium Germanicum in Rom. Der Aufenthalt sollte sein Musikverständnis nachhaltig prägen.

„So eine Vivaldi-Sammlung gibt es in Deutschland kein zweites Mal“, betont Peter Stingel, der das Archiv rechtlich betreut. Weil Musiker zunehmend daran interessiert seien, alte Musik im Originalklang zu spielen, gebe es aber auch einen wachsenden Markt für Neueinspielungen.

So wurden auch Stücke von Giovanni Benedetto Platti erstmals aufgenommen. Der Italiener kam 1722 als Oboist ins Hoforchester des Würzburger Fürstbischofs, damals ein Bruder des Grafen von Wiesentheid.

Die Amtszeit des Fürstbischofs währte nur kurz, sein Nachfolger strich dessen Kulturausgaben flugs wieder zusammen, doch Platti blieb in Würzburg. Im Auftrag des begeisterten Cellospielers Rudolf Franz Erwein schrieb er zahlreiche Konzerte und Sonaten für dieses damals noch junge Instrument.

Diese persönliche Note zeichnet die Musikaliensammlung aus — der Graf kaufte Noten, um Musik zu machen. „Das ist der Notenschrank dieses Rudolf Franz Erwein“, sagt die Musikwissenschaftlerin Frohmut Dangel-Hofmann über die Sammlung, die sie seit vier Jahrzehnten betreut.

„Der Bestand spiegelt, aus der Sicht eines fränkischen Adligen, die Musikgeschichte eines halben Jahrhunderts wider.“ Dessen Nachfolger Paul Graf von Schönborn, selbst ist er kein Musiker, hofft, „dass diese Sammlung wieder Gehör findet“.

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