„Parsifal“ im Schlabberlook

Berlin (dpa) - Parsifal trägt Bermudas, einen Rucksack und Kapuzenpulli, die Gralsritter sind in Vollbärten und grauen Wollmützen eingehüllt und ihre Burg ist eine Kirchenruine mit Betondecke.

„Parsifal“ im Schlabberlook
Foto: dpa

In der neuesten Berliner „Parsifal“-Fassung ist von Karfreitags-Anmutung nicht viel zu spüren — eher von Sex & Crime. So mussten Wagner-Fans am Samstagabend bei der Premiere an der Staatsoper im Schiller Theater einiges ertragen - und spendierten der Inszenierung des Russen Dmitri Tcherniakov mit Daniel Barenboim im Orchestergraben dann auch reichliche Buhrufe.

Dabei war die Neuproduktion mit großen Erwartungen verknüpft. Berlin hat sich mit seinen drei Opernhäusern zur heimlichen Wagner-Hauptstadt gemausert. Keine Spielzeit ohne Wagner: An der Deutschen Oper läuft noch immer vor stets ausverkauftem Haus der fast 40 Jahre alte „Tunnel-Ring“ von Götz Friedrich, für 2020 ist dort eine Neuproduktion des Norwegers Stefan Herheim angekündigt. Die Staatsoper koproduzierte jüngst einen „Ring“ mit der Mailänder Scala, die Komische Oper brachte zuletzt die „Meistersinger“ heraus.

Generalmusikdirektor Barenboim ist ein leidenschaftlicher Wagner-Anwalt. Seit fast 20 Jahren lässt er zu den Festtagen der Staatsoper an Ostern vor allem Wagner spielen. Und Tcherniakov ist auch kein Unbekannter in Berlin. Vor zehn Jahren holte ihn Barenboim zum ersten Mal für Mussorgskys „Boris Godunow“ nach Berlin. Seitdem wird der Russe mit Preisen und Engagements überhäuft.

Dass Tcherniakov sich nicht an einen gängigen Erlöser-Parsifal halten würde, war wohl keine Überraschung. Vor der Premiere sprach er von der Titelfigur als Psycho-Fall mit Muttersöhnchen-Komplex und sexuellen Neurosen.

Parsifal (Andreas Schager) ist ein umherirrender Backpack-Tourist. Er kann diese Reliquien-Welt mit dem Heiligen Gral, dem Blut Christi und der Lanze, die Jesus einst am Kreuz die Wunde zufügte, nicht verstehen. Dabei hatten ihn die Gralsritter sehnsüchtig erwartet. Nur ein „reiner Tor“, so glaubt Ritter Gurnemanz (René Pape), könne ihren Gralskönig Amfortas (Wolfgang Koch) von seiner nicht heilenden Wunde erlösen

In seinem „Bühnenweihfestspiel“ hat Wagner germanische und christliche Mythen miteinander verwoben. Für seine Anhänger war das Werk eine Offenbarung, Friedrich Nietzsche sprach dagegen von einem „Operetten-Stoff“.

Bei Tcherniakov ähneln die Gralsritter einer Sekte von Wahnsinnigen, der abtrünnige Klingsor (Tómas Tómasson) wirkt wie ein von Obsessionen geplagter Triebtäter, dem seine Blumenmädchen in knappen Kleidern hörig folgen.

Wenn Parsifal durch den Kuss von Kundry (Anja Kampe) zum Wissen erweckt wird, ist das gleich eine Bettszene. Dass die Magierin in dieser Männerwelt keinen Platz hat, wird dann auch überdeutlich. Tcherniakov lässt sie am Ende über Gurnemanz' Messerklinge springen.

Dabei hatte Anja Kampe genug zu kämpfen. Bis zuletzt war der Einsatz der an einer Grippe erkrankten Kampe offen, wie Intendant Jürgen Flimm zu Beginn der Aufführung ankündigte. Sie meisterte ihren Auftritt jedoch mit Bravour und erntete Ovationen.

René Pape als Gurnemanz litt mit seinem ausdrucksstarken Bass zuweilen unter dem langgezogenenen Musikfluss von Barenboims Staatskapelle, Andreas Schager wurde für sein Debüt in der Titelrolle stürmisch gefeiert. Für Bayreuth steht der Österreicher bereits als neuer Parsifal fest.

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