Pop: Das Comeback der Comic-Käuze

Fünf Jahre nach dem grandiosen Erfolg von „Demon Days“ lassen Damon Albarn und Jamie Hewlett die Gorillaz wiederauferstehen.

Düsseldorf. Wenn erfolgreiche Bands sich trennen, heißt es normalerweise, künstlerische Differenzen hätten zum Bruch geführt. Oder Ehefrauen. Meistens beides.

Bei den Gorillaz, dem erfolgreichsten virtuellen Musik-Act aller Zeiten, liegt die Sache etwas anders. Die Bandmitglieder sind den Launen ihrer Schöpfer ausgeliefert.

Und da es sich bei diesen geistigen Vätern um einen eigenbrötlerischen Pop-Kauz (Blur-Frontmann Damon Albarn) und einen spleenigen Comicautoren ("Tank Girl"-Erfinder Jamie Hewlett) handelt, ist die Story, die sie sich zur Veröffentlichung des dritten Albums einfallen ließen, entsprechend ungewöhnlich. Eben im besten Comic-Stil martialisch, gesellschaftskritisch und bizarr.

Sie besagt, dass die Gorillaz keine richtige Band mehr sind, dass der ohnehin immer leicht größenwahnsinnig dreinblickende Bassist Murdoc die kreative Herrschaft an sich gerissen hat und dass er seit dem letzten Album auf einer Insel aus Zivilisationsresten haust. Dort hält er Sänger 2D gefangen. Eine willenlose Androidenversion des verschollenen Gitarristen Noodle bewacht ihn. Schlagzeuger Russel soll Reißaus genommen haben.

Keine künstlerischen Differenzen, keine Ehefrauen. Dafür Allmachtsfantasien und Endzeitstimmung. Origineller kann die Trennung einer Pop-Band nicht karikiert werden. Und als genau das, als Karikatur, sind die Gorillaz 1998 auch entstanden. Albarn, damals Kopf einer der wichtigsten Bands ihrer Zeit, und Hewlett, mit seinem "Tank Girl" gerade zum Zeitgeistphänomen aufgestiegen, teilten sich in London ein Apartment und damit einhergehend auch einen Fernseher.

Gemeinsam ärgerten sie sich täglich darüber, wie austauschbar die Bands und Künstler und One-Hit-Wunder auf MTV geworden waren. Man müsste auf den ganzen Blödsinn reagieren, dachten sie. Ein Statement abgeben, ohne moralinsauer zu wirken.

Irgendwann kamen sie auf die Idee, eine Band zu designen, die sämtliche damals gängigen Klischees bedienen sollte. Am Mikrofon platzierten sie einen verstrahlten Punk mit dem möchtegerncoolen Pseudonym 2D, am Bass einen ewig zu kurz gekommenen Alt-Rocker (Murdoc), an die Gitarre wurde ein flippiger Japaner gesetzt (Noodle), und am Schlagzeug trommelte ein gutmütiges Riesenbaby (Russel).

Schnell merkte Albarn aber auch, dass ihm eine ersponnene Band die Möglichkeit bietet, sich in den unterschiedlichsten Genres mit namhaften Gastmusikern auszutoben. Entsprechend lässt sich der Stil der Gorillaz nicht eindeutig umreißen. Mal ist es mit Jazzelementen versetzter Hip-Hop, dann wieder tiefenentspannter Reggae. Hier schrammeln ein paar melancholische Indie-Gitarren, und dort jubeln Vocoder verzerrte Pop-Synthesizer.

Sicher sollte diese scheinbar wahllose Vielfalt auch ein Kommentar zum Crossover sein, dem damals grassierenden Ineinandermixen unterschiedlicher Stile. Witzigerweise klangen die Songs von Albarn trotz aller Ironie aber immer interessanter und ausgeklügelter als die Vorbilder, die sie aufs Korn nahmen. Und die Videos, die Hewlett maßgeblich gestaltete, setzten mit dreidimensionalen Effekten visuelle Maßstäbe.

Es war eine klassische Win-Win-Situation: Einerseits schufen sich Albarn und Hewlett eine weitläufige Spielwiese zum Tüfteln, andererseits dienten ihnen die Gorillaz als Ventil, um aus dem aufgeblasenen Pop-Zirkus ein bisschen lauwarme Luft entweichen zu lassen.

Und es ist auch jetzt, fast fünf Jahre nach dem letzten Album "Demon Days", noch immer genügend davon da. Die lange Pause entstand unfreiwillig. Gleich an mehreren Aktionen, die unter dem Namen Gorillaz entstehen sollten, hatten Albarn und Hewlett gebastelt. Doch letztlich scheiterte der Versuch, die Zeichentrick-Jungs mittels 3-D-Holografie auf Tour zu schicken, am Geld. Und das Vorhaben, einen Gorillaz-Film zu drehen, an der mangelnden Risikobereitschaft der Studios.

Dadurch blieb ihnen genügend Zeit, sich wieder auf die Musik zu konzentrieren. Für die 15 neuen Songs auf "Plastic Beach" holte Albarn eine verrückte Mischung exquisiter Branchen-Größen ins Studio, angefangen bei den Underground-Ikonen Lou Reed und Mark E. Smith bis hin zu den Hip-Hop-Legenden Snoop Dogg und De La Soul.

Gemeinsam schnitzten sie an einer weiteren, überkandidelten Pop-Oper, querfeldein durch sämtliche Stile, mit Albarns mürrisch scheppernder Stimme als rotem Faden. Es ist ein fantastisches Musik-Kollektiv - auch wenn die Gorillaz vordergründig nur noch aus dem durchgeknallten Grantler Murdoc bestehen.

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