Soloalbum: Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch bezieht Stellung und übt Kritik

Karfreitag ist „Konfetti“, das Solo-Album von Marcus Wiebusch, erschienen. Es arbeitet sich an aktuellen Themen geradezu ab.

Marcus Wiebusch geht nach vier Alben mit Kettcar eigene Wege.

Marcus Wiebusch geht nach vier Alben mit Kettcar eigene Wege.

Foto: NN

Köln. Eine dunkle Hotelbar in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs: Es ist schon das zehnte Interview für Marcus Wiebusch an diesem Tag — Promo-Tour eben. Manche Frage wiederholt sich dabei. Warum dies, warum das? Und doch: Der 45-jährige Wiebusch beantwortet jede einzelne mit Verve. Er überlegt, greift Gedanken auf, argumentiert entschlossen. Von Ermüdung keine Spur.

Soloalbum: Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch bezieht Stellung und übt Kritik
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Da drängt sich die Frage auf, woran das liegt. Die Antwort erschließt sich aus den elf Liedern, die sein Solo-Album „Konfetti“ (ET: 18. April), bilden: Es sind Lieder mit einem Auftrag. Lieder, die Stellung beziehen und Kritik üben. Eine Besonderheit im deutschen Pop-Diskurs — zuletzt auch bei Marcus Wiebusch.

Wiebusch ist bisher vor allem als Kopf der Band Kettcar in Erscheinung getreten. Kettcar haben Anfang des Jahrtausends zusammen mit Bands wie Wir sind Helden und Tomte deutschsprachigen Gitarrenrock wieder salonfähig gemacht. Ein Baustein dabei war auch das Label „Grand Hotel van Cleef“, das Wiebusch 2002 zusammen mit Thees Uhlmann und Reimer Bustorff (auch Kettcar) gegründet hat. Wiebusch textete auf dem schmalen Grat von Kitsch, Befindlichkeit und großem Gefühl. Mit wenigen Worten hat er Sinnsuchern ganze Welten erschaffen. Gesellschaftskritik fand dabei nur bedingt statt.

Und jetzt: „Konfetti“. Ein Album, das sich regelrecht an den aktuellen Zuständen abarbeitet. Homophobie im Profi-Fußball, Internet-Hass, Leistungsgesellschaft, Distinktions-Zwang. Der Entschluss zum Solo-Album fiel 2011: „Ich wollte weniger Metaphern benutzen, stattdessen wieder inhaltlicher werden und Stellung beziehen. Ein Entschluss, der nach vier Kettcar-Alben einfach in mir war.“

Aus dieser Haltung heraus ist dann ein Lied wie „Der Tag wird kommen“ entstanden. Eines, das wütend gegen Homophobie im Fußballstadion ankämpft — geschrieben und aufgenommen vor dem Hitzlsperger-Outing. „Ich finde es unfassbar, dass wir kein Klima haben, in dem sich ein aktiver Profi outen kann. Das hat mich ziemlich beschäftigt“, sagt Wiebusch, der selbst einen schwulen Bruder hat. In sieben Minuten zeichnet der eingefleischte St. Pauli-Fan ein zorniges Bild vom Fußballgeschäft. Er erzählt die Geschichte eines jungen Talents und dessen Weg in die Bundesliga. Treuer Gefährte: die Angst vor dem Outing — inklusive Freundin und gefälschter Urlaubsfotos. Und die Sehnsucht nach einem Leben, in dem die Wahrheit kein Tabu ist.

Wiebuschs Haltung: zornig. Seine Prognose: dennoch hoffnungsfroh. Schließlich ist die Menschheitsgeschichte vom Fortschritt geprägt. Der Tag wird kommen, an dem ein Outing zur Selbstverständlichkeit wird: „Weil wir Menschen nicht danach bewerten, wen sie lieben, / ihr Sex ihre Sache ist und sie es nicht verdienen, / von den Dümmsten der Dummen beurteilt zu werden / und von ihnen dann verurteilt zu werden.“

Das Lied steht nicht nur inhaltlich exemplarisch für „Konfetti“. Es ist musikalisch so ganz anders, als man es von Kettcar gewohnt ist. Sprechgesang auf kraftvollem Schlagzeug-Beat und pumpendem Bass statt des getragen-chansonhaften Habitus’ vom letzten Kettcar-Album und anstelle des recht konventionellen Studenten-Kapuzenpulli-Indie-Rocks der früheren LPs. Wiebusch probiert sich aus auf „Konfetti“: Für jeden Track zeichnet ein anderer Produzent verantwortlich, zahlreiche Mischer und noch mehr Musiker sind daran beteiligt. Das reicht vom Elektro-Stück („Haters gonna hate“) bis zum düsteren „Schwarzes Konfetti“. Zusammengehalten wird das Album von Wiebuschs eindringlicher Stimme und seinem Ruf nach Haltung.

Bleibt die Frage, wie es um Kettcar bestellt ist. Insbesondere, wenn man den Weg von Label-Kumpan Thees Uhlmann sieht. Den hat sein Solo-Ruhm so sehr berauscht, dass er nach dem Debüt gleich eine zweite Platte nachgelegt hat, statt zu seiner Heimatband Tomte zurückzukehren. Der Kettcar-Deal ist wenig eindeutig: „Wir haben die Abmachung, dass wir uns im Spätsommer zusammensetzen und überlegen: Wollen wir zusammen arbeiten? Was haben wir an Skizzen, was an Ideen? Dann wird entschieden, ob es ein neues Kettcar-Album geben wird.“

Bald wird es dunkel. In der Lobby steht schon der nächste Fragesteller. Wiebusch nimmt’s gelassen. Später muss er noch zum Radio — der Tag ist lang.

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