Tokio Hotel: Jetzt nochmal alles auf Anfang

Tokio Hotel sind zurück. Nicht nur Bill und Tom Kaulitz sind äußerlich kaum wiederzuerkennen, auch ihre Musik hat sich radikal verändert.

Tokio Hotel: Jetzt nochmal alles auf Anfang
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Düsseldorf. Tokio Hotel aus Magdeburg brach als Teenieband in den Nullerjahren alle Rekorde. Doch der Erfolg wuchs den jungen Musikern Bill und Tom Kaulitz alsbald über den Kopf, weshalb sie sich 2009 dazu entschieden, in die Anonymität zu fliehen.

In Los Angeles fanden die inzwischen 25-jährigen Zwillinge nicht nur ihr Glück, sondern auch die Muße für ein neues Album. Mit uns haben sie über „Kings Of Suburbia“, ihre Wahlheimat und Jugendsünden gesprochen.

Tom und Bill, Sie sind keine Teenager mehr, Sie müssen jetzt den Erwachsenen-Popmarkt knacken. Ist Ihnen das bei den Aufnahmesessions bewusst gewesen?

Tom Kaulitz: Nein. Wir haben uns erst einmal gar nichts gedacht. Es war sowieso ein Risiko, uns eine so lange Auszeit zu nehmen. Wenn du heute im Musikbusiness eine Woche lang keinen Song veröffentlichst, kommt schon der nächste und du bist vergessen. Uns war das egal, wir haben es trotzdem gemacht. Ich finde es merkwürdig, wenn Musiker permanent Songs releasen und neue Alben machen. So funktioniert es nicht, wenn du wirklich kreativ bist. Songs zu schreiben, dauert eine Zeit.

Bill Kaulitz: Ich glaube nicht daran, dass man sich hinsetzen und einen bestimmten Markt bedienen kann. Wir haben bei der Platte einfach nur die Musik gemacht, die wir uns auch privat kaufen würden. So kann überhaupt nur ein Erfolg passieren: Wenn man selbst denkt, das ist das coolste Zeug überhaupt.

War es Ihr Ziel, sich musikalisch neu zu erfinden?

Bill: Wir haben vor fünf Jahren eine Pause eingelegt, weil ich das Gefühl hatte, vorerst alles geschrieben und gesagt zu haben. Ich konnte auch den Namen Tokio Hotel nicht mehr hören.

Tom: Irgendwann sind wir wieder ins Studio gegangen und standen wirklich vor einem leeren Blatt. Die Songs auf der Platte sind extrem unterschiedlich. Wir haben zwei pure Balladen drauf, die nichts mit Synthesizer zu tun haben, aber auch Nummern mit starken Bass- und Hooklines.

Lieben oder hassen — kaum eine deutsche Band polarisierte in der Vergangenheit so sehr wie Tokio Hotel. Wollen Sie es jetzt den Leuten zeigen, die immer meinten, dass man Sie nicht ernst nehmen müsse?

Bill: Ich habe manchmal ein bisschen Angst, dass die Leute uns gar nicht mehr so hassen. Für eine Karriere kann einem eigentlich nichts Besseres passieren, als zu polarisieren. Aber gerechnet haben wir mit diesen Reaktionen nie. Alle dachten immer, hinter uns steckt ein riesen Marketing-Team.

Wenn die Leute gewusst hätten, wer wirklich hinter uns steht, hätten sie sich wahrscheinlich totgelacht. Das alles ist einfach nur passiert, es gab keinen geheimen Plan von ganz tollen Marketingleuten, die gedacht haben, wir machen jetzt mal so eine Band. Heute bin ich froh über krasse Meinungen. Ich hoffe, dass uns manche Leute immer noch richtig scheiße finden. Das Schlimmste wäre, jemandem egal zu sein.

Polarisieren Tokio Hotel in Amerika genauso stark wie in Deutschland?

Tom: In Amerika polarisiert kaum etwas. Es ist eine ganz andere Mentalität. Nicht mal sogenannte Celebrities, Berühmtheiten, die eigentlich gar nichts können. So was gibt es in Deutschland nicht, wo Celebrities eher Trash-Stars sind. Hier dagegen stehen Celebrities neben echten Rockstars auf dem roten Teppich.

Wie viel arbeiten Sie?

Bill: Seitdem das Album spruchreif ist, haben wir wieder ziemlich lange Arbeitstage. Tom und ich sind wirklich in alles involviert. Es gibt keine E-Mail, die nicht über unseren Schreibtisch läuft. Wir gestalten das Artwork mit, und ich sitze sogar in den Merchandise-Meetings. Weil wir nicht damit umgehen können, fremdbestimmt zu sein. Ich möchte keinen Vorgesetzten haben.

Mit dem neuen Album ist es sogar noch extremer. Manchmal würde ich schon gerne weniger machen, aber wir kriegen es irgendwie nicht hin, weil wir einfach krasse Controlfreaks sind. Manchmal wäre ich gern nur der Sänger, der sich zurücklehnt und alle anderen machen den Rest.

Ist Ihnen im Nachhinein irgendetwas peinlich?

Tom: Für mich war alles, was ich bislang gemacht habe, zum jeweiligen Zeitpunkt immer total geil. Genau das wollte ich immer machen. Solange ich mich in das Gefühl zurückversetzen kann, wie es damals war, ist mir überhaupt nichts peinlich. Ich blicke immer noch auf unsere letzte Europatour zurück, schaue mir die DVD an und denke, hoffentlich kriegen wir das auch mit der nächsten Tour hin. Man will sich ja selbst pushen.

In dem Video „Bill’s Special Pill“ auf Ihrer Website überrascht Bill mit einem Drogen-Kommentar: „Aber mit ein bisschen Heroin und ein bisschen Kokain funktioniert alles.“ War das bloß ein Scherz oder muss man sich Sorgen um Sie machen?

Bill: Nee, in dem Fall war es nur ein Witz. Jemand, der wirklich heroin- oder kokainabhängig ist, würde das sicher nicht so sagen. Ich kann nicht verleugnen, dass wir hier super viel Spaß haben, ich liebe das Nachtleben und alles, was dazugehört.

Wobei man sagen muss, das Nachtleben in Europa ist viel geiler als das in LA. LA ist eine ziemlich langweilige Stadt. Trotzdem bin ich gerne draußen, gehe gerne feiern und trinke gerne. Auf dieses Lebensgefühl habe ich total Bock. In Europa war das nicht so leicht möglich. Aber heroinabhängig bin ich noch nicht!

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