Triumph für Bariton Gerhaher in Monteverdis „L'Orfeo“

München (dpa) - Der große Lied- und Opernsänger Christian Gerhaher steht im Zenit seines Schaffens. Mittlerweile lässt der Münchner Bariton sogar das Andenken an den legendären Dietrich Fischer-Dieskau verblassen.

Triumph für Bariton Gerhaher in Monteverdis „L'Orfeo“
Foto: dpa

Gerhaher fehlen dessen zuweilen recht störende Manierismen, der Gestus der Über-Interpretation, obwohl auch bei ihm jede Note, jede Silbe hundertfach bedacht ist. Am Sonntagabend sang Gerhaher im Münchner Prinzregententheater die Titelrolle in einer stürmisch gefeierten Neuproduktion von Claudio Monteverdis „L'Orfeo“. Das Publikum war schier aus dem Häuschen.

Monteverdis „L'Orfeo“ gilt als erste „echte“ Oper der Musikgeschichte. Er komponierte das rund zweistündige Werk für den Hof des Fürsten von Mantua, wo sie 1607 mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Monteverdis Schaffen geriet zwar in Vergessenheit, wirkte dennoch Stil bildend für kommende Komponistengenerationen.

Die Bühne betrat Gerhaher ganz locker im hellen Leinenanzug, so, als würde er hier privat nach dem Rechten sehen. Dabei geht es um seine Hochzeit mit der schönen Euridice, die im Flower-Power-Ambiente der 70er Jahre von jungen Hippies mit Joints und Steinhäger gefeiert wird. Dann ergreift Orfeo/Gerhaher das Mikrofon, klettert auf den klapprigen VW-Bus und bietet seiner Braut ein schmachtendes Ständchen.

Doch die Blumen, die in David Böschs feinfühliger und vom Publikum vorbehaltlos bejubelten Inszenierung buchstäblich in den Himmel wachsen (Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold), verwelken schnell, als Euridice nach dem Biss einer Giftschlange stirbt. Jetzt senken sich menschliche Skelette kopfüber vom Himmel herab und Orfeo, zu Tode betrübt, macht sich auf, seine Geliebte aus dem Hades zu befreien.

Böschs Hades ist eine düstere, von schaurig-komischen Gestalten bewohnte Fantasiewelt. Kraft seines betörenden Gesangs gelingt es Orfeo, dem Toten-Fährmann Charon den Schlüssel für sein Propellerboot zu klauen und schließlich die Herrscher der Unterwelt zur Herausgabe Euridices zu bewegen. Doch sein Triumph lässt ihn übermütig werden. Er missachtet das Verbot, sich auf dem Rückweg zu den Lebenden nach seiner Geliebten umzusehen - und verliert sie für immer.

Dem Happy End des Original-Librettos von Alessandro Striggio, Sekretär des Herzogs Vincenzo I. von Mantua, mit der Vereinigung Orfeos und Euridices im Sternenreich und der Verklärung des göttlichen Sängers verweigert sich Bösch: Orfeo schneidet sich die Pulsadern auf und sinkt mit Euridice ins feuchte Grab

Gerhaher ist, das soll nicht verschwiegen sein, kein großer Mime, eigentlich ist er immer er selbst. Vor allem das Fröhliche, Unbefangene scheint dem Künstler nicht zu liegen, da wirkt er auf sympathische Weise unbeholfen. Zu ganz großer Form läuft Gerhaher auf, wenn es um die Zerrissenen, Geschundenen, Verzweifelten geht, dann schillert sein Bariton in allen Schattierungen von unheimlich fahl bis zur energischen Attacke. Selbst in den Koloraturen belegt er jeden einzelnen Ton mit einem immer verschiedenen Ausdruck.

An Gerhahers Seite zu bestehen, ist nicht leicht. Doch Anna Virovlansky als Euridice, Andrea Mastroni als Caronte, Angela Brower als Speranza/Musica und vor allem Anna Bonitatibus in der Doppelrolle von Botin und Proserpina machen eine tolle Figur. Kongenial begleitet wird das Sängerteam von dem Dirigenten und Barockspezialisten Ivor Bolton, der für „L'Orfeo“ ein eigenes Orchester zusammengestellt hat, aus Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters und Barockspezialisten. Auch die Züricher Sing-Akademie funktioniert wundervoll. Eine Sternstunde zum Ausklang der diesjährigen Münchner Opernfestspiele, die am 31. Juli mit Verdis „La forza del destino“ zu Ende gehen.

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