Nostalgie-Studie: In den Herzen wird’s warm

Wir spielen mit der Sehnsucht nach den guten, alten Dingen als Kontrast zur schnellen, kalten Welt von heute.

Düsseldorf. Auf den Gabentischen werden sich übermorgen die elektronischen Geräte stapeln — doch die wahren Sehnsüchte liegen womöglich woanders. Nur mal als Test: Welcher Handy-Klingelton unter den zigtausend möglichen ist der zumindest subjektiv häufigste? Das schlichte und schrille „Dring, dring!“ aus der Zeit, als der Fernsprecher nicht nur analog, sondern auch fest montiert war.

Der altmodische Telefonhörer, den man in sein Smartphone einstöpseln kann, wirkt ähnlich neckisch. Doch der Reiz liegt eben nicht darin, dass der nostalgische Knochen ermüdungsfreier in der Hand liegt als das moderne Flachgerät — „das Spiel mit der Vergangenheit geht tiefer“, sagt der Wuppertaler Psychotherapeut Gerd Grudzinski. Denn die Rückbesinnung auf Gefühle aus der Kindheit erleichtere und wärme die Psyche in einer Zeit, die als immer schneller und kälter empfunden wird: „Das ist eine ganz gesunde Reaktion.“

Kein Arbeitsplatz ist mehr sicher, die Anforderungsschraube im Job wird angezogen, die Finanzkrise rückt bedrohlich an die Sozialsysteme heran — angesichts der massiven Verunsicherung beruhigt es, sich auf etwas Solides von früher zu besinnen. „Als Kind erschien einem die Welt noch in Ordnung“, so Grudzinski. Das erklärt etwa den ungeheuren Auflage-Erfolg von Zeitschriften wie „Landlust“. Die kümmern sich nicht um den realen Alltag von Bauern und wenig um handfeste Gartenarbeit, sondern präsentieren fast vergessene Berufe, alte Haustierrassen und komplizierte Basteleien.

Die Entwicklung ergreift auch die Popmusik. Die US-Sängerin Lana del Rey klingt wie aus den 60ern und macht sich zurecht wie damals Nancy Sinatra — zwei Mal Platin und ein Mal Gold hat ihr das aufreizend melancholische Album „Born To Die“ eingebracht. Da mag der Brite Simon Reynolds in „Retromania“ noch so sehr beklagen, dass der Pop die Innovationskraft verloren hat, die ihn früher mal ausgemacht hat — die Klavierballaden von Adele sind trotzdem gut im Ohr und in den Charts.

„Unsere Welt ist immer weniger greifbar“, sagt Grudzinski. Wir schicken Dinge virtuell hin und her, ohne irgendetwas anzufassen. Sei es da ein Wunder, dass Handfestes wie Hausmannskost und Stricken boomt? Heimwerken liegt im Trend — oder es soll wenigstens so aussehen: Die Deko-Läden sind voll mit rustikalen Accessoires, die wirken, als habe man die Zweige dafür selbst im Wald gesammelt und etwas ungeschickt zusammengefügt.

Der Trend ist auch auf dem Boden angekommen: Parkettdielen werden im Werk so stark getrocknet, dass sie reißen. Die Löcher werden entweder schwarz zugekittet oder extra herausgebürstet — das ergibt eine Astloch-Optik wie aus einem alten Herrenhaus, die entsprechend kostet. Ein guter Marketing-Gag: Dielen mit normalen Astlöchern wurden bisher preiswert als zweite Wahl verkauft. Die hatten aber auch keinen nostalgischen Mehrwert. Denn laut einer englischen Studie holt einen die Kuschelei mit der Vergangenheit verlässlich aus einem seelischen Tief heraus — daran soll man keinesfalls sparen.

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