NRW-Forum: Fotografie im Event-Zeitalter

Das NRW-Forum in Düsseldorf zeigt die neue Künstler-Generation in der Ausstellung "State of The Art Photography".

Düsseldorf. Was für ein grandioses Abziehbild der Alpen: Schneebedeckte Berge und hohe Tannen zeigt der Fotokünstler Andreas Mühe, Sohn des 2007 gestorbenen Schauspielers Ulrich Mühe, wandhoch im NRW-Forum. Nur wenn man näher herantritt, erkennt man den pinkelnden Nazi in SS-Uniform, der dem Werk aus der Serie „Obersalzberg“ den Titel gibt.

Mühe, der ganz klassisch eine Plattenkamera verwendet, gehört zu den Fotokünstlern einer neuen Generation, bei der die Grenzen von Fotografie, Malerei und Objektkunst verschwimmen. Digitale Bearbeitung ist ebenso selbstverständlich wie die traditionelle Collage.

Diese Fotografen lieben es lebendiger, filmischer und burlesker als ihre Vorfahren aus Amerika und Europa, die Adams, Winogrands und Bechers. Sie sind weniger Dokumentaristen als Schöpfer eigener Bildwelten. Die frühere stille, bisweilen strenge Beschaulichkeit weicht starken visuellen Reizen. In Düsseldorf ist ein Querschnitt durch die aktuelle Szene zu sehen.

„Die Zukunft liegt nicht in der reinen Fotografie, sondern in der freien Kunst“, betont Fotostar Andreas Gursky, der seine jüngste Schülerin in die Schau schickt. Alex Grein (Jg. 83) kombiniert Landschaftsskizzen von Caspar David Friedrich mit alten Satellitenaufnahmen von der Erdoberfläche, deren schräge Farben sie verstärkt. Friedrichs eingefrorene Romantik wird derart überhöht, dass seine bekannten Landschaftsmotive irritieren. Wir trauen ihnen nicht mehr.

Der Polaroid-Schnappschuss feiert bei Jeremy Kost (Jg. 77) fröhliche Auferstehung. Im NRW-Forum werden die bunten Bildchen des Partygängers hinter Glasrahmen aufgefächert. Das Potpourri präsentiert die Subkultur der Freaks, Rebellen und transsexuellen Ikonen wie Amanda Lepore als verwackelte Zufallsprodukte.

Bilder als Teil eines Kuriositätenkabinetts sind auch die von Pinar Yolacan (Jg. 81). Sie schneidert Kleidungsstücke aus Fleisch oder erzeugt Ganzkörperanzüge aus flüssigem Latex. In diese Kleidung zwängt sie die meistens recht korpulenten Models. Der Kopf wird im Foto ausgespart, alles Menschliche ist dem Leib ausgetrieben. Das Ergebnis sind rätselhafte Wesen.

Daniel Gordon (Jg. 80) schneidet Fundstücke aus Illustrierten aus, klebt sie recht provisorisch zu Papierskulpturen und lichtet sie ab. Seine „Rotäugige Frau“ erscheint wie ein Chaosbild oder ein dekonstruktivistischer Picasso.

Der Humor ist in diesen Bildern ein häufiger Begleiter. So tritt die Fotografin Elina Brotherus (Jg. 72) erst als unbekleidete Eva in einer Aktklasse auf, um dann ihre Rolle als passives Modell im Foto zu verlassen und im daneben hängenden Video als Performerin zu agieren.

Die Ausstellung „State of The Art Photography“ läuft bis 6. Mai im NRW-Forum, Ehrenhof. Die Auswahl der Künstler trafen der Fotostar Gursky, MoMa-Chef Biesenbach (New York), Udo Kittelmann (Chef der Nationalgalerie Berlin) und Werner Lippert (Düsseldorf). Katalog mit schönen Bildern und lieblosen Texten: 35 Euro.

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