Otto Piene gestorben: Der Inspirator der Nachkriegskunst

Zero-Mitbegründer Otto Piene verkörperte die künstlerische Aufbruchstimmung nach dem Weltkrieg. Er starb mit 86 Jahren in Berlin.

Otto Piene schafft in seinem Düsseldorfer Atelier eines seiner berühmten Feuerbilder. Das Foto stammt aus dem Jahr 2006.Archiv-Foto: Bernd Nanninga

Otto Piene schafft in seinem Düsseldorfer Atelier eines seiner berühmten Feuerbilder. Das Foto stammt aus dem Jahr 2006.Archiv-Foto: Bernd Nanninga

Foto: Nanninga, Bernd (bn)

Berlin/Düsseldorf. Otto Piene war 1945 als Kindersoldat heimgekehrt, als er zum ersten Mal die spiegelglatte Elbe bei Hamburg im Gegenlicht sah. Es war für ihn ein Gegenbild zur gerade durchlebten Erfahrung des Weltkriegs. „Da war es und funkelte wie Quecksilber, reines Wasser auf der Wasseroberfläche, eine blendende, atmende, eiskalte Fläche.“

Pienes Multimedia-Performance „Die Sonne kommt näher“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Dort läuft gerade eine Piene-Retrospektive. Fotos: dpa

Pienes Multimedia-Performance „Die Sonne kommt näher“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Dort läuft gerade eine Piene-Retrospektive. Fotos: dpa

Foto: dpa

Die Sonne wurde für ihn zur sichtbaren Energie, der er ein Leben lang die künstliche Sonne seiner Lichtkunst entgegen hielt. Freitag ist der 86-Jährige in Berlin gestorben. Am Tag zuvor hatte der Inspirator der Nachkriegskunst seine Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie. Auf der Rückfahrt im Taxi sei Piene friedlich gestorben, teilte die Düsseldorfer Zero-Foundation Freitag mit.

„Geleucht“: Pienes 30 Meter hohe Grubenlampe aus 20 Tonnen Stahl und 90 Kubikmetern Beton leuchtet im September 2007 erstmalig von der Halde Rheinpreußen in Moers.

„Geleucht“: Pienes 30 Meter hohe Grubenlampe aus 20 Tonnen Stahl und 90 Kubikmetern Beton leuchtet im September 2007 erstmalig von der Halde Rheinpreußen in Moers.

Foto: A3512 Roland Weihrauch

Der Mann mit dem großen Rauschebart, der zuletzt im Rollstuhl (Foto: dpa) saß, war stets von ungeheurer Energie und einem unstillbaren Wissensdrang getrieben. Der Sohn eines Physikers aus dem westfälischen Laasphe hatte das Staatsexamen in Philosophie gemacht, bevor er zum Chefdenker der Künstergruppe Zero wurde.

Auf dem Place de la Catalogne in Paris wehte 2008 während der Nuit Blanche (Weiße Nacht) die Installation "Floatables" von Otto Piene im Wind.

Auf dem Place de la Catalogne in Paris wehte 2008 während der Nuit Blanche (Weiße Nacht) die Installation "Floatables" von Otto Piene im Wind.

Foto: A3913 David Ebener

Die „Reinheit“ der Farben artikulierte er anfangs nur in Lampenobjekten, Projektionen und Reflexionen, bevor er es in Feuerbilder einbrannte. Die neue Einheit von Natur und Kunst plante er ein Leben lang in gigantischen multimedialen Umweltprojekten. Piene gab dem spießigen Zeitgeist im Wirtschaftswunderland schöpferische Impulse.

Eine Lichtinstallation von Otto Piene. Foto: Archiv

Eine Lichtinstallation von Otto Piene. Foto: Archiv

Foto: Anna Schwartz

Er fing wie ein Bastler an, machte sein erstes Lichtballett mit Taschenlampen, wobei seine Hände das Licht dirigierten. Wer seine Objekte im Düsseldorfer „Lichtraum“ betrachtet, ist erstaunt über die große Wirkung aus simplen Dingen. Die Lichtflut der rotierenden Scheinwerfer, gefangen im Innern der glänzend polierten Würfel aus Stahl, strömt durch die eingestanzten Lichtcodes in den Außenraum.

Otto Piene gilt als großer Kunsterneuerer des 20. Jahrhundert.

Otto Piene gilt als großer Kunsterneuerer des 20. Jahrhundert.

Foto: Wolfgang Kumm

Bis 1964 arbeitete der junge Vater der ersten drei von insgesamt fünf Kindern als Dozent an der Düsseldorfer Modeschule, dann brach er in die Neue Welt auf. Der kluge Mann, der immer auch Naturwissenschaftler war, arbeitete an der berühmten Forschungsstätte MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Boston, übernahm 1974 das dortige Zentrum für visuelle Studien und leitete 20 Jahre lang das Medienlabor für künstlerisch-optische Experimente.

Er war der Pionier einer Kunst, die sich mit Natur und Technik verbindet. Zu den Feuer- und Rauchbildern kam seine Sky Art, die Himmelskunst. Er schuf den „Regenbogen“ für die Olympischen Spiele 1972. Er wirkte wie ein Dirigent auf den Wiesen der Documenta, umgeben von Assistenten, gasgefüllten Schläuchen und Computerprogrammen. Noch kurz vor seinem Tode erklärte er: „Der Himmel ist groß, und er ist für alle da. Wir dürfen ihn nicht dem Luftverkehr überlassen.“ Für den Kurator Joachim Jäger ist Piene einer der „großen Kunsterneuerer des 20. Jahrhunderts.“

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