Pianist Lev Vinocour erklärt Haydn oder Debussy

Der in Düsseldorf lebende Pianist Lev Vinocour ist nicht nur Virtuose, sondern geht mit seiner Leidenschaft Musik auch auf Sendung.

Düsseldorf. Konzertpianisten haben meist ein ungeheures Gedächtnis. Und das brauchen sie auch, denn sie spielen Großwerke der Klavierliteratur auswendig. Der Russe Lev Vinocour nutzt seine Merkfähigkeit aber nicht nur für die Noten von Liszt, Chopin und Tschaikowsky, er liest auch unzählige Briefe der Komponisten, um dem Leben und Werk der Meister möglichst nahezukommen.

Daten, Zahlen, Fakten und Begebenheiten kennt Vinocour in gleicher Massierung auswendig wie die Unmengen an Tönen der Indianischen Fantasie für Klavier und Orchester des Italieners Ferruccio Busoni (1866-1924). Das fundierte Wissen machte sich der Fernsehsender 3Sat zunutze und dreht mit Vinocour eine Musikdokumentation nach der anderen.

Dafür reist der Pianist in verschiedene Länder, um an historischen Schauplätzen vor der Kamera über das Leben von Joseph Haydn oder Claude Debussy zu sprechen. Seinen Heimathafen hat er jedoch in der Düsseldorfer Karlstadt gefunden. „Ich habe noch nie in einer so kleinen Stadt gelebt“, sagt der gebürtige St. Petersburger im Gespräch über seinen aktuellen Wohnort am Rhein. Doch sei Düsseldorf ausgesprochen komfortabel, schon allein aufgrund der Nähe zu einem Flughafen.

Vinocour sitzt etwas patriarchalisch zurückgelehnt beim Tee, spricht mit gewandter Zunge und leicht russischem Akzent. Er strahlt etwas Weltläufiges aus, verbunden mit der kritischen Miene desjenigen, der viel weiß und viel kann, Mittelmäßigkeit jedoch verabscheut. Bei manchen Namen von Prominenten der Klassik-Szene wendet der Tastenlöwe seinen Kopf ab und macht ein Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen.

Doch wenn die Unterhaltung auf den Jahrhundert-Pianisten Vladimir Horowitz oder die Komponisten Igor Strawinsky und Richard Wagner kommt, gerät Vinocour ins Schwärmen: „Das ist absolut genial“, sagt er mit dem beschwörenden Ton des Enthusiasten in der Stimme. Strawinskys Skandal-Stück „Le sacre du printemps“ („Das Frühlingsopfer“), das er gerade in einer Klavierfassung einstudiere, sei wie eine Bombe in die bürgerliche Gesellschaft eingeschlagen. „Es ergreift und zerrt an einem bis zum Schluss.“ Lieben könne man es aber nicht, obwohl es das größte Musikwerk des 20. Jahrhunderts sei. „Auch das Kolosseum in Rom kann man nicht lieben, aber es ist überwältigend.“

Bei Chopin sei der Fall ganz anders: „Chopin liebe ich, denn er stellt sich nicht über den Menschen.“ Beethoven wiederum sei ein gewaltiger Komponist, den man bewundern, aber kaum liebhaben könne. Sogar in dessen lyrischem Albumblatt „Für Elise“ stecke Sprengstoff. „Beethovens Elise ist wie so ein Elektrofisch, der sich jederzeit tödlich entladen kann.“

Die Klavierminiatur behandelt er in seiner neusten Sendung „Liebeslieder für Klavier“. Dort gehe er auch ein auf Schumanns „Träumerei“ oder Liszts „Liebestraum“. Er habe dabei eine erstaunliche Feststellung gemacht: „Nichts verbindet diese Werke, außer dass sie weit und breit beliebt sind.“ Man könne sogar sagen, die Stücke seien simpel. Es mache ihm Freude, solchen Geheimnissen auf die Spur zu kommen.

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