Regierungsbunker: Die Stadt für den Ernstfall

Der ehemalige Regierungsbunker bei Bad Neuenahr-Ahrweiler ist heute ein Museum. Dort wird Geschichte lebendig.

Bad Neuenahr/Düsseldorf. Schrill lärmt ein Horn, im Schein von rotem Blinklicht öffnet sich ein fast 30 Tonnen schweres Stahlschott. Es gibt den Weg frei in den ehemaligen Regierungsbunker bei Bad Neuenahr-Ahrweiler. Dahinter verbarg sich einst ein 17,3 Kilometer langes Labyrinth unter den Weinbergen an der Ahr. Hier sollten in Zeiten des Kalten Krieges 3000 wichtige Amtsträger aus dem rund 30 Kilometer entfernten Bonn im Angriffsfall in Sicherheit gebracht werden. 1997 wurde der Bunker aufgegeben, der Großteil zurückgebaut. Heute ist nur noch ein kleiner Teil erhalten, seit fünf Jahren kann dieses Kapitel deutscher Geschichte besichtigt werden.

Der Komplex ist eine Welt für sich — mit bewegter Geschichte. Das Grundgerüst bilden zwei für die Bahn geplante Tunnel. Züge fuhren dort jedoch nie, stattdessen entstand in den 1930er Jahren eine Champignon-Zucht, wie Museumsleiterin Heike Hollunder erzählt.

1943 wurde dort für einige Monate eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald eingerichtet; Häftlinge bauten mobile Abschussrampen für V2-Raketen. In den letzten Kriegsmonaten suchten Ahrweiler Bürger dort Schutz.

1952 begannen die Planungen für den Ausweichsitz der Bundesregierung — es ging die Angst um vor einem dritten Weltkrieg. „Die ehemaligen Eisenbahntunnel sind schnell von den Landkarten verschwunden, der Bunker sollte geheim bleiben“, sagt Hollunder. 1962 starteten die Arbeiten nach den Entwürfen des Bonner Ingenieurbüros um Paul Walter und dessen Sohn Hans.

1971 war das Bauwerk fertig. Etwa 17 500 Menschen arbeiteten daran, viele nur für kurze Zeit, damit sie möglichst wenig darüber erfuhren. Der Bunker zählte 38 Ausgänge, fünf Abschnitte konnten separat mit Strom, Wasser aus Tiefbrunnen und Luft versorgt werden. Die Kosten sollen inklusive Außenanlagen bei sieben Milliarden Mark (heute rund 3,6 Milliarden Euro) gelegen haben. „Im Vergleich dazu kostete der VW Käfer 3400 Mark“, sagt Hollunder. „Jeder Schritt im Tunnel entspricht in etwa dem Wert eines Einfamilienhauses.“

Nach Fertigstellung waren 180 Menschen im Bunker beschäftigt, jeder hatte ein Dienstfahrrad, auch Elektrofahrzeuge gab es. Die Untergrundstadt beherbergte 900 Büros, ebenso viele Schlafräume, außerdem Kantinen, Krankenstationen, fünf Kommandozentralen und zwei Telefonzellen mit Münzfernsprechern.

Heute ist es still in den Schächten. Der Geruch von Linoleum liegt in der Luft — etwa in den Dekontaminationsräumen. Dort sollten verstrahlte Menschen mit Säurezusätzen geduscht werden. Sogar Haartrockner hängen noch an der Wand.

Das Büro des Bundespräsidenten schmückten einst pinkfarbene Sessel, sein Badezimmer war eines der wenigen mit Wanne. Auch einen Plenarsaal und ein Fernsehstudio gab es. „Damit alles funktionierte, kam einmal die Woche der Tüv“, erzählt Hollunder. „Vom Schweißer bis zum Schlosser waren alle möglichen Handwerker vor Ort, und es gab ein riesiges Materiallager. Jede Schraube war doppelt vorhanden, es musste immer alles für den Ernstfall vorbereitet sein.“

Einige Details erscheinen im Nachhinein skurril. So war das Ganze auf den Einschlag einer 20-Kilotonnen-Atombombe in 800 Metern Entfernung ausgelegt, die Sowjets testeten jedoch schon während der Bauzeit stärkere Bomben. 30 Tage wäre die Notfallstadt unter der Erde überlebensfähig gewesen, sagt Hollunder. Für jeden der 3000 Bewohner lagen Versorgungspakete bereit, etwa mit Fertig-Nudelgerichten, Keksen, Margarine in der Tube und Brausetabletten. „Einen Plan, was ab dem 31. Tag geschehen sollte, gab es nicht.“ Das bestätigte jüngst auch Bunker-Ingenieur Hans Walter in einem Interview.

Autor Jörg Diester, der mehrere Bücher über den Bunker verfasst hat, umschreibt das so: „Man wollte einfach etwas haben.“

Geheim sei das Projekt schon zu Beginn nicht gewesen. Radio Moskau etwa habe Grüße nach Marienthal, dem Ort eines damaligen Eingangsbauwerks, über den Äther geschickt. Für Diester ist der Bunker etwas „Hochpolitisches“. Hier seien die Notstandsgesetze bei einer Übung durchexerziert worden, und die Friedensbewegung habe davor demonstriert, „ein Stück deutsche Wirklichkeit“.

Noch bis 1989 fanden im Bunker alle zwei Jahre Nato-Übungen statt. Seit März 2008 können Interessierte das Relikt des Kalten Krieges besichtigen. Von den 17,3 Tunnelkilometern sind noch 203 Meter offen, der Rest wurde zwischen 2001 und 2006 rückgebaut, wie Hollunder sagt. Das gewonnene Material sei wiederverwendet worden, etwa als Untergrund für Sportplätze in Nordrhein-Westfalen. Kalter Krieg recycelt sozusagen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Liebe und Hass in der Vorstadt
Peter Kurth und Peter Schneider ermitteln im „Polizeiruf“ nach einem Kindsmord in Halle/Saale Liebe und Hass in der Vorstadt
Zum Thema
Aus dem Ressort