Krimis: Gut und Böse im Clinch

Spannende Unterhaltung treibt im Handel die Umsätze hoch. Was fasziniert an Opfern, Mördern und Ermittlern? Eine internationale Spurensuche.

Düsseldorf. Ist es die Faszination des Bösen? Voyeurismus? Der Spaß am Rätselraten, die Lust auf spannende Unterhaltung? Oder ist es der Wunsch zu erleben, dass das Gute am Ende doch siegt? Die Gründe, zu einem Krimi zu greifen, sind vielfältig.

Während der eine gern abends im Bett mit Sherlock Holmes durch die Lupe guckt, lässt sich der andere von Thomas Harris in die psychischen Abgründe eines Serienkillers à la Hannibal Lecter ziehen oder sieht Jo Nesbøs Harry Hole dabei zu, wie er abwechselnd gegen Verbrecher und seinen Drang zum Alkohol kämpft.

Die Deutschen werden beim Krimi leidenschaftlich: Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wurden im vergangenen Jahr 26 Prozent des Belletristik-Umsatzes mit Spannungstiteln gemacht. Damit sind Krimis und Thriller nach der erzählenden Literatur konstant die zweit-umsatzstärkste Sparte der Belletristik. Nach Schätzungen von Experten erscheinen jedes Jahr rund 1500 deutschsprachige Krimis.

Um es dem Leser leichter zu machen, drucken viele Verlage gleich aufs Cover, was den Leser erwartet. Doch was ist eigentlich drin, wenn „Krimi“ draufsteht? „Wenn die Erzählung von Mord und Verbrechen im Vordergrund steht, wenn diese beiden Aspekte die bestimmenden Elemente sind. So könnte man es ganz grob sagen. Es ist schwierig abzustecken“, meint Krimi-Kritiker Thomas Wörtche.

Hinzu kommen die diversen Unterkategorien wie die seit rund zehn Jahren in Deutschland so erfolgreichen Regionalkrimis, Detektivgeschichten, Thriller und Psychothriller, die dem Buchkäufer den Weg weisen sollen. Wer grob davon ausgeht, dass der Regionalkrimi immer einen besonderen Bezug zum Ort hat, in dem er spielt, und dass der Psychothriller von einem durchgedrehten Serienkiller handelt, der zwar viele Leute umbringt, aber nicht unbedingt ein Motiv dafür hat — der ist zumindest nicht auf dem falschen Weg, so der Experte.

„Aber letztendlich sind das alles Buchmarktkategorien. Was draufsteht, legt der Verlag fest.“ Mit anderen Worten: Wenn sich momentan Psychothriller besser verkaufen als Krimis, dann wird eben „Psychothriller“ draufgedruckt? „Ja, so könnte man es sagen.“ Das sei ein Grund, warum auch die Diskussion über das Genre so schwierig ist — egal, ob unter Literaturwissenschaftlern oder Lesern: Einigkeit darüber, was einen qualitativ guten Krimi ausmacht, herrscht nie.

Geschichten über das Böse im Menschen — ob auf wahren Begebenheiten beruhend oder erdacht — hat es schon immer gegeben. Zum Beispiel die biblische Geschichte über den Brudermord des Kain an Abel oder Friedrich Schillers „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ (1786). François Gayot de Pitaval, ein französischer Anwalt, veröffentlichte ab 1734 sogar 22 Bücher, in denen er wahre Kriminalfälle schilderte.

Als Urvater der Kriminalgeschichte wird nicht etwa ein Brite gehandelt, wie manche meinen, sondern ein Amerikaner: Edgar Allan Poe. Mit „Doppelmord in der Rue Morgue“ hebt er 1841 den Ermittler Auguste Dupin aus der Taufe und begründet damit sogleich eine Subgattung: die Detektivgeschichte. „Das Interessante daran ist, dass diese Geschichte eine eigene Parodie hat. Der Täter ist nämlich ein Affe“, sagt Wörtche.

Zwei besondere Traditionen der Kriminalliteratur folgten. Zum einen die angelsächsische: Dort schickte Sir Arthur Conan Doyle 1887 den wohl bekanntesten Detektiv aller Zeiten, Sherlock Holmes, von der Baker Street 221 b in London aus auf Verbrecherjagd. Und Agatha Christie schuf 1920 zunächst Hercule Poirot und zehn Jahre später Miss Marple. Zum anderen die französische mit Emile Gaboriau. Auch eine groteske Serien-Gestalt wie Fantômas (ab 1911) von Pierre Souvestre gehört hierzu.

Die Skandinavier blicken auf eine eigene große Ausbeute an Leichen, Mördern und Ermittlern. Das schwedische Autoren-Duo Maj Sjöwall und Per Wahlöö haben den sozialkritischen Krimi der Nordlichter sozusagen begründet. Mit Superstars der Szene wie Henning Mankell, Jo Nesbø, Håkan Nesser, Arne Dahl und Jussi Adler-Olsen machen die Skandinavier heute einen bedeutenden Teil der Buchverkäufe in Deutschland aus.

„Die Deutschen hinken etwas hinterher“, sagt Thomas Wörtche. Hatte die deutschsprachige Krimitradition zwar mit Schriftstellern wie Walter Serner („Die Tigerin“, 1925) und dem Schweizer Friedrich Glauser ebenfalls einen guten Anfang genommen, brach sie in der NS-Zeit jäh ab. Erst seit den 60er Jahren werden auch hierzulande wieder vermehrt Krimis geschrieben — die allerdings auch fast nur in Deutschland Beachtung finden.

Übersetzt werden deutsche Krimis selten. „Warum sollten Amerikaner etwas kaufen, was sie selbst besser können. Dabei haben wir mit Zoë Beck, Friedrich Ani und Christine Lehmann ausgezeichnete Krimiautoren. Aber eben nicht diese lange Tradition.“

Einen Erfolg, wie ihn Andrea Maria Schenkel mit „Tannöd“ (2006) feierte, können nur wenige deutschsprachige Schriftsteller verbuchen. Doch international spielen laut Wörtche ganz andere Schriftsteller in Sachen Krimis eine Rolle: Don Winslow (USA) und Sara Gran (USA), Giancarlo de Cataldo (Italien), Stuart MacBride (Schottland), Mike Nicol (Südafrika) und Dominique Manotti (Frankreich).

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