Keine hundertprozentige Sicherheit

Diskussion über Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Der Co-Pilot, der den Germanwings-Airbus mit 150 Menschen an Bord mit großer Wahrscheinlichkeit vorsätzlich ins Verderben gesteuert hat, sei „hundertprozentig flugtauglich“ gewesen. Es handele sich um einen unglaublich tragischen Einzelfall. Ist das tatsächlich so?

Wie wir inzwischen wissen, war der 27-Jährige für den Unglückstag krankgeschrieben. Und vor seiner Pilotenkarriere wurde der junge Mann als suizidgefährdet eingestuft, befand sich in psychotherapeutischer Behandlung. Ob und was die Lufthansa darüber wusste, sagt der Konzern nicht. In jedem Fall muss die Frage erlaubt sein, ob bei der Prüfung von Piloten alles mit rechten Dingen zugeht.

Seelische Probleme werden in der Arbeitswelt gerne totgeschwiegen. Das gilt auch für die Luftfahrtbranche. Depressionen, Alkoholsucht und Überforderung machen vor dem Cockpit eben nicht Halt, auch wenn wir das gerne verdrängen. Regelmäßige psychiatrische Untersuchungen sollten deshalb für Verkehrspiloten verpflichtend sein. Analog gilt das für Zugführer und Busfahrer, weil auch sie ständig Verantwortung für das Leben vieler anderer übernehmen müssen.

Und was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht für diese sensiblen Berufe? Gefordert wird, dass der Arzt den Arbeitgeber sofort über Auffälligkeiten informiert. Dies wäre nicht nur ein massiver Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Mindestens so schwer wiegen die Zweifel, ob das Aus für die Schweigepflicht in der Sache wirklich weiterführt. Schon heute haben Ärzte durchaus die Möglichkeit, sich von ihrer Schweigepflicht zu lösen, wenn sie eine Gefahr für Leib und Leben anderer Menschen erkennen. Gelingt es ihnen nicht, den Patienten von der Bedrohung Dritter abzubringen, ist es mit der Schweigepflicht vorbei.

Es mag sein, dass Ärzte dieses Recht bislang nicht ausreichend genutzt haben. Zahlen darüber gibt es nicht. Aber durch den Absturz der Germanwings-Maschine wird die Bereitschaft der Mediziner zunehmen, bei Piloten-Checks genauer hinzusehen. Hundertprozentige Sicherheit erwächst allerdings auch daraus nicht.

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