Kommentar Manipulierte Organspende-Listen: Nicht der Freispruch ist der Skandal

Urteil im Fall um manipulierte Organspende-Listen

Ein Arzt schädigt durch Manipulationen bei Organverpflanzungen das ohnehin bei den Menschen angeknackste Vertrauen in die Organspende — und verlässt das Gericht als freier Mann. Wie kann das sein? Die Antwort steht in Paragraf 1 des Strafgesetzbuches: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“

Der Satz steht deshalb ganz vorne im Gesetz, weil er der wohl wichtigste ist. Ärzte, die Patientendaten verändern und Wartelistenplätze verfälschen, machen sich erst seit 2013 strafbar. Als Reaktion auf den Manipulationsskandal. Doch diese Strafnorm darf eben nicht rückwirkend angewandt werden. Nur ein Unrechtsstaat denkt sich im Anschluss an ein unerwünschtes Verhalten ein dazu passendes Gesetz aus und wendet es dann bereits auf diesen Fall an.

Dass der Arzt unmoralisch handelte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Strafrechtlich ließe sich der Fall aber nur dann anders beurteilen, wenn man die Sicht der Staatsanwaltschaft teilt, die argumentiert hatte: Die Manipulation hat ganz konkret Leben gefährdet oder gekostet, weil derjenige, der auf der Empfängerliste nach vorn rutscht, automatisch einen anderen Menschen verdrängt. Dessen Tod wird damit billigend in Kauf genommen. Weil die Staatsanwaltschaft in Revision geht, ist die Frage noch nicht endgültig entschieden.

So offen der Ausgang dieses Strafverfahrens auch sein mag, es wäre falsch, aus der juristischen Ungewissheit zu folgern, dass Manipulationen einfach so hingenommen werden. Längst wurden die Regeln verschärft, um unmoralischen Tricksereien einen Riegel vorzuschieben. Die Spenderbereitschaft wird sich aber nur dann erhöhen, wenn die Regeln greifen und es keine neuen Manipulationen gibt.

Jeder Einzelne sollte sich fragen, ob er zur Spende bereit ist, um so eventuell anderes Leben zu retten. Die Antwort muss dabei nicht zwingend ein Ja sein. Ein Nein ist nicht verwerflich, es gibt gute Gründe zur Skepsis. Doch ein Nachdenken darüber und eine Festlegung ist wichtig. Schon um Angehörigen, die sonst vielleicht einmal stellvertretend darüber entscheiden sollen, diesen Konflikt zu ersparen.

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