Pflegezeit: Ohne Angehörige geht es nicht

Die Pflegezeit braucht eine verlässliche, verbindliche Regelung

Wenn die Anzeichen nicht trügen, steuert Deutschland auf eine soziale Katastrophe zu. Auslöser ist der demografische Wandel. Und alle, die bisher nach Auswegen suchten, sind gescheitert. Zuletzt musste Familienministerin Kristina Schröder erfahren, dass gut gemeint nicht gut gemacht ist. Ihre Pflegezeit-Idee ist von der Realität schlicht ignoriert worden.

Dabei ist Schröders Grundgedanke richtig. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt rapide. Die Kosten für die Pflege auch. Da könnte Hilfe zur Selbsthilfe wahre Wunder bewirken. Doch dem Plan Schröders, dass Angehörige von Pflegebedürftigen bei ihren Arbeitgebern quasi einen Arbeitszeitkredit aufnehmen, haften zu viele Mängel an.

Der größte Malus ist sicher, dass Schröder ihren Vorschlag nicht rechtsverbindlich gemacht hat. Auf etwas so Vages lassen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus guten Gründen nicht gern ein. Das Argument der Arbeitgeberverbände zieht aber auch nicht. Wenn es so einfach wäre, Pflegezeiten frei zu vereinbaren, gäbe es die Diskussion nicht.

Es gibt sie aber. Und sie wird mit jedem Tag notwendiger. Derzeit leben in Deutschland 1,6 Millionen Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Ihre Zahl wird steigen, weil das Durchschnittsalter der Gesellschaft steigt und Demenz eine Krankheit ist, die alte Menschen befällt. Hinzu kommen jene, die wegen anderer Gebrechen ans Bett gefesselt und auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dieser Bedarf ist mit Kosten in mehrstelliger Milliardenhöhe verbunden.

Die aktuelle gesetzliche Pflegeversicherung wird nicht ausreichen, die Kosten zu decken. Höhere Beiträge schaden dem Arbeitsmarkt. Also muss die Pflege zusätzlich auch auf private, familiäre Säulen gestellt werden.

Deswegen ist Schröders Ansatz im Grunde richtig. Aber er braucht einen verlässlichen Rahmen, in dem sich Partner auf Augenhöhe begegnen. Und er muss auch die Fälle berücksichtigen, in denen die Reduktion von Arbeitszeit aus technischen oder finanziellen Gründen gar nicht möglich ist.

Die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich nicht zuletzt auch daran, wie sie ihre Alten behandelt. Der Blick in manche Seniorenheime, Krankenhäuser und Wohnungen zeigt, dass Deutschland in dieser Frage noch viel nachzuarbeiten hat. Und die Aufgabe wird jeden Tag größer.

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