Unruhen in England: Cameron muss das Gespräch suchen

Die Gewalt auf britischen Straßen eskaliert

Was steckt hinter den Unruhen in England? Eine Parallele drängt sich fast auf: Wieder hat Großbritannien eine konservative Regierung, die die Sozialausgaben zusammenstreicht — und wieder brennt die Straße. David Camerons Tottenham kommt wie Margaret Thatchers Brixton daher: So wie sich vor genau 30 Jahren der Zorn junger Schwarzer in Süd-London auf die Metropolitan Police entlud, so sieht es derzeit auch in Nord-London aus.

Doch wer diesen vorschnellen Vergleich zieht, kennt Tottenham nicht. Der Stadtteil ist schon seit Jahrzehnten eine No-Go-Zone — und nicht erst seit dem Regierungssieg der Thatcher-Erben 2010. Vor Tottenham haben die Hauptstädter die Augen schon immer am liebsten fest verschlossen: Das Viertel ist unsicher, uninteressant, unattraktiv. Investiert wird lieber anderswo.

90 Prozent der Bewohner sind Zuwanderer. Jeder Zehnte ist arbeitslos — doppelt so viele Menschen wie im Landesdurchschnitt und mehr als irgendwo sonst in London. Tottenham lebt seit Jahrzehnten in einer Rezession. Ein Funke hat gereicht, um hier den Frust lichterloh zu entflammen. Schade, dass erst der Flächenbrand, der nun durch viele weitere, unterprivilegierte Stadtteile walzt, das Land zwingt, sich um seine Schmuddelkinder zu kümmern.

Ein Zitat von Martin Luther King ist in diesen Tagen oft zu hören. Es lautet: „Unruhen sind die Stimmen der Ungehörten.“ Die Gewalt der Randalierer ist nicht zu rechtfertigen, auch nicht durch die Worte des Bürgerrechtlers. Sie ist doppelt töricht, weil die Ausgegrenzten in blinder Wut jenen schaden, die selber wenig besitzen: Hunderte ebenfalls arme Familien haben durch Brandstifter ihre letzten Habseligkeiten, ihr Zuhause verloren. Die Krawalle werden sich aber so lange fortsetzen, bis die Politik den Unruhestiftern endlich Gehör schenkt.

Dafür braucht es allerdings ein Gesprächsangebot. Die Signale, die Premier Cameron sendet, sind alles andere als das. Erst wollte er seinen Urlaub nicht abbrechen, weil ihm die Aufstände zu unwichtig erschienen; nun droht er Randalierern mit der Härte des Gesetzes. Doch zusätzliche Polizisten bedeuten nur zusätzliche Straßenkämpfe, keinen Waffenstillstand. Den aber braucht das Land dringend.

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