Was uns unterscheidet

Hundert Jahre nach dem Attentat von Sarajevo

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Foto: k r o h n f o t o . d e

Der deutsche Außenminister lässt derzeit in einer Veranstaltungsreihe diskutieren, ob sich das Versagen der Diplomatie bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges heute wiederholen könnte. Seine vorläufige Antwort und die der Kanzlerin lautet: Nein, denn es gibt eine neue Gesprächskultur der Regierungen in Europa, die dergleichen verhindert. Und in der Tat hat die heutige Politikergeneration dieses Kontinents aus der blutigen Geschichte gelernt. Die Nationen bestehen fort, ordnen sich aber supranationalen Organisationen wie der Uno, der EU oder der OECD ein und unter.

Freilich, der Rückfall Putins in eine rücksichtslose nationalchauvinistische Strategie, auch das Aufkommen europafeindlicher Parteien in vielen Staaten zeigt, dass sich das wieder ändern kann. Das Alltagsleben ist vernetzt, vom Auslandsstudium über die Musik, die Esskultur und das Kino bis zum Urlaub. Man genießt endlich die Vorteile aus der einzigartigen Vielfalt Europas.

Aber auch hier die Einschränkung: Die tumbe Ablehnung anderer Kulturen, auch europäischer, lässt sich in Situationen sozialer Probleme schnell wieder mobilisieren. Es gibt Hooligans und Nazis, die auf Fremdenjagd gehen, auch auf deutschem Boden. Es gibt wegen der Euro-Krise Schmähungen gegen die Schuldenländer.

Noch am widerstandsfähigsten sind die wirtschaftlichen Vernetzungen; nicht ohne Grund verlangt zum Beispiel in der Ukraine-Krise die Wirtschaft am stärksten nach friedlichen Lösungen. Denn die Rückkehr zu Konfrontation und nationaler Konkurrenz kostet bares Geld. Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg liegt Europa, von oben betrachtet, wie ein großer Schulhof da, auf dem friedlich gespielt und nur am Rande manchmal gerangelt wird. Doch das Bild kann sich rasch ändern. Erst kommt die Missgunst, dann die Abgrenzung, dann die Konfrontation. Man muss deshalb weiter an den Lehren der zwei Weltkriege arbeiten. Die Politik muss ihre internationalen Kontakte vertiefen. Die Bevölkerung muss offen bleiben für andere Kulturen und die Wirtschaft weiter an gemeinsamen Projekten arbeiten. Denn der Frieden ist ein dünner Firniss. Vor 100 Jahren, als alles auch sehr friedlich schien, reichten zwei Schüsse in Sarajevo.

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